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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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das Chaos. Droht dieses Chaos in Südafrika, werden die militanten Weißen, die bereits eine beträchtliche Privatarmee aufbauen, sich einer aus dem
one-man-one-vote
-Mechanismus hervorgegangenen schwarzen Regierung unterwerfen?
    GORDIMER : Das ist sehr, sehr schwierig. Sie brauchen nicht mal diese Privatarmeen – die reguläre genügt schon, und die Polizei dazu. Wir haben keinen Juan Carlos – aber wir können leicht einen rechten Putsch der Armee haben. Es laufen hier verschiedene historische Prozesse ineinander. Erst kürzlich konnte Andries Treurnicht mit einem Anschein von Recht erklären, daß de Klerks Politik allen modernen staatlichen Entwicklungen zuwiderlaufe, wie man an Osteuropa und den GUS -Staaten sehe: Der Trend gehe weg von multikulturellen Großgebilden, die divergierende Völker, Sprachen, Kulturen, Religionen, Traditionen zusammenfaßten, und hin zu kleinen, quasi «reinen» nationalen Einheiten; also: vorwärts in die sechziger Jahre.
    FJR : Was mich wundert: daß ich nie je in irgendeiner südafrikanischen Zeitung so ein Gespräch mit Ihnen las. Sind Sie Teil dieses Landes – im Ausland gar als Repräsentant angesehen – und zugleich ein Fremdkörper?
    GORDIMER : Sie müssen die Position von Menschen wie mir sehr genau verstehen: Sie sind von den Schwarzen total akzeptiert – und werden von den Weißen gehaßt. Als ich nach der Nobelpreisverleihung zurückkam, war eine riesige Menschenmenge am Flugplatz, sie hupten, schwenkten Spruchbänder; es waren – nicht nur Desmond Tutu – alles Schwarze und vier enge persönliche weiße Freunde. Das ist meine kuriose Position – ich bin eine Weiße, aber ich gehöre nicht zu den Weißen; die lehnen mich ab.
    FJR : Kein Telegramm von de Klerk nach dem Nobelpreis, kein Interview im Fernsehen, keine Aufmacherstories auf den ersten Seiten der Zeitungen?
    GORDIMER : Nichts, absolut nichts dergleichen. Kein Telegramm, kein Gruß, kein Interview – eine Notiz auf Seite drei, glaube ich.
    FJR : Sie sind ein weißer Neger. Aber Sie würden, da eben weiß,
doch
auf der Straße überfallen und ausgeraubt, gingen Sie in der Innenstadt von Johannesburg spazieren; man sieht Ihnen ja nicht an, wofür Sie stimmen.
    GORDIMER : Das werden Schwarze auch. Sie dürfen das nicht durcheinanderbringen – für einen Schwarzen ist es genauso gefährlich, am Freitag mit seinem Wochenlohn in der Tasche durch die Stadt zu bummeln. Das ist Kriminalität – und ich stimme nicht für Raub, Überfall und Mord. Ich stimme gegen die Ursachen, die zu dieser Kriminalität geführt haben: Apartheid, Arbeitslosigkeit, schlechte Ausbildung, Unterdrückung, Vertreibung.
    FJR : Sie stimmen dagegen, sozusagen mit Ihren Büchern. Aber in denen schildern Sie doch gerade die Kalamität der gutmeinenden privilegierten Weißen, die nett zu ihrem schwarzen Personal sind, mit der Nanny schon mal einen Tee trinken und dem Gärtner freigeben, wenn seine Mutter krank ist.
    GORDIMER : Sie sprechen von meinen früheren Büchern.
    FJR : Nein, ich spreche von allen Ihren Büchern, Romanen wie Erzählungen, den jüngst in Deutschland erschienenen. Ich spreche von Ihrer Literatur und Ihrer Existenz.
    GORDIMER : Aber Sie beschreiben die liberale Position, all dies Gehabe, das wir als
bring-a-bottle-and-a-black
-Getue irgendwelcher Party-Damen verlachen; und der Kleine vom schwarzen Boy darf auch mal in den Pool. Das ist nicht meine Haltung. Es geht darum: Wer hat einen Verfolgten vor der Polizei versteckt; wer hat Papiere durch die Zollkontrolle geschmuggelt; wer hat sein Auto als Kurier gefahren – wer ist Risiken eingegangen, hat öffentlich eine verbotene Bewegung unterstützt, hat selber Haft und manchmal sein Leben riskiert. Das ist nicht die Ebene von Tee und Plätzchen; und es ist übrigens auch nicht die Ebene von «Wer hat das größere Haus». Meine Freunde vom ANC interessiert nicht mein Haus, sondern was ich
tue
. Da sind eure europäischen Ideen: Wenn du die und die Gesinnung hast, dann verkauf dein Haus und arbeite als Kellnerin; dann darf Nelson Mandela nicht in einem anständigen Haus leben. Aber niemand hier will, daß ich als Kellnerin arbeite, und jedermann akzeptiert, daß ein Staatsmann für seine Arbeit, seine Besprechungen, seine Gäste ein entsprechendes Haus braucht.
    FJR : Ich will keine Kellnerin Nadine Gordimer. Aber ich frage die Schriftstellerin Nadine Gordimer: Ist es nicht «per Beschluß», durch eine – wie immer ehrbare –
Entscheidung
herbeigeführte

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