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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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nicht der englische Premier, nicht der deutsche Bundeskanzler. Niemand. Von niemandem und nirgendwo kam Hilfe für den Befreiungskampf.
    FJR : In meinen Ohren klingt das wie die vielbeschworene antifaschistische Allianz mit Moskau, während der man die Augen vor den Moskauer Prozessen verschloß; schließlich führte es zu einer Art Verklärung. Verklärt sich diese ANC -Dankbarkeit für vergangene Hilfe?
    GORDIMER : Nur, daß sie im doppelten Sinne «vergangen» ist. Die Dinge haben sich doch vollständig verdreht: Es gibt keine Sowjetunion mehr, keine sowjetische Hilfe – weder für die hiesige kommunistische Partei noch für das früher helfende Kuba. Es kann also auch keine diabolischen Ränke für eine kommunistische Machtübernahme in Südafrika geben; nur die äußerste Rechte malt dieses Schreckgespenst noch an die Wand. Derweil die russischen Delegationen nun von der Regierung auf dem roten Teppich am Flugplatz geküßt werden; und all die Professoren, Schriftsteller, Journalisten im Gefolge – die noch vor zwei Jahren Beelzebub und die rote Gefahr waren – besuchen die offiziellen Parties, aber meiden jeden ANC -Kontakt. Ganz gelegentlich verirrt sich mal einer zu mir. Sie sprechen nicht mehr mit ihren ehemaligen Genossen, sie sprechen mit der Regierung, die sie früher verketzert hat. Sie sehen: eine äußerst drohende kommunistische Gefahr.
    FJR : Gab oder gibt es noch einen starken marxistischen Einfluß bei den südafrikanischen Intellektuellen?
    GORDIMER : Ja, den gab es, und viele sind noch immer überzeugte Marxisten, ähnlich Christen, die ihrem Christentum nicht wegen Mißbrauchs einer korrupten Priesterkaste abschwören mögen. Ich selber bin der Meinung, daß vieles an den Ideen von Marx oder Lenin bemerkenswert war, wie an denen der Französischen Revolution oder von 1848 . Zugleich weiß ich natürlich, wie sehr Macht korrumpiert und daß, bei allem Idealismus, die menschliche Natur wohl schwerlich zu ändern ist. So schwanken wir hier alle zwischen hochfliegenden Ideen – etwa: Jedem sein eigenes Haus, aber kein Privatbesitz an Grund und Boden – und eher so pragmatischen Zielen wie der Möglichkeit, daß ohne Ansehen der Hautfarbe jeder wohnen kann, wo er will.
    FJR : Aber Sie wohnen selber, alarmanlagengeschützt, in einem privilegierten Villenviertel, wo offensichtlich kein Schwarzer wohnt, wohnen kann oder darf.
    GORDIMER : Doch, hier in dieser Gegend geht das, und Schwarze – es gibt auch wohlhabende, sogar einige reiche Schwarze – haben hier schon Häuser gekauft. Das ginge nicht auf dem flachen Land.
    FJR : Man sieht ohnehin allenthalben viel Reichtum – oder ehemaligen Reichtum? – im ganzen Land: prachtvolle Villen in parkähnlichen Gärten in Constantia bei Kapstadt oder wunderbar gepflegte Weingüter um Stellenbosch oder luxuriöse Apartmenthäuser am Indischen Ozean in Durban. Hatte der Boykott keinen Effekt?
    GORDIMER : Er hatte enorme Wirkung. Man muß feststellen, daß rein kapitalistisches Kalkül umschlug in moralisch politische Qualität. Mr. de Klerk hat nicht nachgegeben, und ein großer Prozentsatz der
Yes
-Wähler beim Referendum hat nicht so gestimmt aus humanitären Gründen, sondern weil die Wirtschaft ruiniert war, die Inflationsrate fünfzehn Prozent betrug; noch zwei Tage vor dem Referendum bangte der Verband der Obst-Exporteure um das
yes
: Nicht weil sie Mandela oder den ANC lieben, sondern weil bei einem
no
85  Prozent ihrer Ernte nicht exportierbar gewesen wären. Dieses eine Mal wenigstens haben Wirtschaftssanktionen funktioniert; nie wäre Mandela freigekommen, nie hätte de Klerk sich an irgendeinen Verhandlungstisch gesetzt, wenn die Sanktionen nicht tief ins Fleisch geschnitten hätten.
Big business
 – von Gold über Diamanten bis zu Zeitungsverlagen – bangte natürlich nicht um das Schicksal der Schwarzen in den Townships, aber um seine Absatzmärkte, seinen Profit. Kapital hat kein Gewissen, aber es will Gewinn.
    FJR : De Klerk scheint mir ein Gorbatschow Südafrikas oder – wenn man noch weiter in die Geschichte zurück will – eine Art Mirabeau; der eine wollte sowenig die Französische Revolution (sondern einen reformierten Royalismus), wie der andere nicht die Auflösung der Sowjetunion, sondern einen reformierten Kommunismus wollte. Es gibt aber Augenblicke in der Geschichte, zu denen sich ein System nicht mehr reformieren läßt – die Reformer schaffen sich selber mitsamt der Gesellschaft ab. Was folgt, ist meist

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