Stahlstiche
Ihr Werk hat seine Wurzeln in diesem Land und schneidet zugleich rasiermesserscharf in seine Verwucherungen. Die Lakonie vieler Ihrer Erzählungen hat oft die Gebärde der Predigt.
GORDIMER : Dem möchte ich energisch widersprechen. Ich bin kein Prediger. Ich zeige Charaktere, Zustände, Verhaltensweisen. Ich zeige, daß ein guter Revolutionär privat ein Schweinehund sein kann, ein Freiheitskämpfer ein Ehebrecher und ein aufrechter Gegner der Apartheid ein Lügner. Ich predige nicht, ich zeige Menschen in ihrem Anstand und ihren Verfehlungen …
FJR : Genau das tut der Priester, wenn er ein guter Prediger ist – um mehr Anstand und weniger Verfehlung zu erbitten, gar zu fordern.
GORDIMER : Gut, dann sind alle Schriftsteller Prediger – Flaubert, Kafka, Beckett. Die Frage – Ihre Frage – war ja, ob wir dann Prediger in der Wüste sind; vor allem wir hier in Südafrika. Nur bedenken Sie, daß wir – geradezu eine verquere Dialektik – wiederum durch den Umstand, in der Weltsprache Englisch zu schreiben, durch ebendiesen Umweg viel Wasser in die Wüste leiten konnten. Wenn irgend jemand in Amerika oder England begriffen hat, was Apartheid
wirklich
bedeutet – dann weil da ein Stück von Athol Fugard gespielt, dort ein Essay von Breyten Breytenbach oder eine Erzählung von mir gedruckt wurde. Das Fernsehen konnte das nicht. Da sieht man Straßenschlachten, zerbombte Häuser, brennende Ortschaften und Tote. Es ist eine Information, die durch die der nächsten Minute gleichsam gelöscht wird – durch irgend etwas über Gorbatschow, Rio de Janeiro oder die deutsche Einheit. Ich nenne es die Desinformation durch Information. Nur wir Schriftsteller können Entwicklungen zeigen, das Entstehen gesellschaftlicher Deformation oder individuellen Versagens. Der kriminelle Wahnsinn der Apartheid ist nicht durch einen Zeitungsartikel begreifbar zu machen; eher durch einen Roman, eine Erzählung – weil die Nachricht die menschliche Dimension nicht liefern kann.
FJR : Sie produzieren diese Dimension, aber «liefern» können Sie sie auch nicht, weil es kein «Lieferantensystem», ich meine: Vertriebssystem gibt.
GORDIMER : Richtig. Ein schauerlicher Circulus vitiosus. Athol Fugards Stücke waren zwar nie verboten, aber wer konnte die sehen? In den schwarzen Townships gab es überhaupt keine Theater. In Soweto mit seinen vorsichtig geschätzten drei Millionen Einwohnern gibt es sechs – Sie haben recht gehört: sechs – kleine Büchereien. Geld zum Kaufen von Büchern hat dort kein Mensch. Wo soll da eine «Lesekultur» in diesem Land herkommen? Das Verlags- und Buchhandelswesen ist in einem deplorablen Zustand. Die großen Buchhandelsketten verkaufen nur Airport-Bestseller. Was Sie und ich unter Büchern verstehen, bieten die gar nicht an. Vielleicht ein oder zwei schmale Taschenbücher von südafrikanischen Schriftstellern, aber sie tun nichts für deren Verkauf, sie bestellen vielleicht sechs Exemplare. Die wenigen unabhängigen Verlage, die unsere Literatur verlegen, sind winzige Unternehmen, und die großen englischen Häuser – wie Oxford University Press oder Longmans –, die sich mit ihrem südafrikanischen Engagement brüsten, haben mit dem Druck und Verkauf der staatlich verordneten (und zensierten) Schulbücher ein Vermögen gemacht; aber Literatur haben sie nicht mit Handschuhen angefaßt. Das ist eines der Hauptprobleme des südafrikanischen Schriftstellerkongresses wie des ANC – in beiden arbeite ich mit, wie Sie wissen: Ausbildung und Bildungssystem zu ändern.
FJR : Wenn man hier mittags die Schüler in ihren feinen Uniformanzügen und die Schülerinnen in ihren adretten Kleidchen mit Kniestrümpfen, Schnallenschuhen und Haarspangen aus der Schule kommen sieht, dann wirkt das auf leicht lächerliche Weise intakt.
GORDIMER : Ein Überbleibsel aus der englischen Kolonialzeit; übrigens tragen auch die schwarzen Schüler Uniform. Nur kann das nicht das totale Chaos des Schulsystems für Schwarze wegkostümieren. Das ist für Mandela und für uns alle im ANC vielleicht das schwierigste Problem: zuwenig Schulen, zuwenig Klassenräume, zuwenig Lehrer.
FJR : Und
in
den Schulen blutige Kämpfe …
GORDIMER : Das wollte ich gerade sagen. Die Schüler sind hochgradig politisiert. Sie haben die Unterdrückung bekämpft, indem sie einen ihrer Apparate – eben die Schule – bis zur Zerstörung bekämpft haben: den Unterricht boykottiert, die Schulbücher verbrannt, die Lehrer
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