Stahlstiche
Deutschland» auch Eislers Freunde Bertolt Brecht, Arnold Zweig, Walter Felsenstein teilnahmen. Der letzte, infolge seiner weithin anerkannten Arbeit als Leiter der Ostberliner Komischen Oper in einer Art Schutzzone operierend, trat als einer der ersten Eisler mit einer geradezu rührenden Intervention zur Seite: «Ich betrachte das Vokabular dieser Kritik als so aggressiv, daß vor einer genauen Kenntnisnahme über etwas Erarbeitetes bereits Anklagen im Raume stehen, die einen Autor nahezu zum kulturpolitischen Verbrecher und Vaterlandsverräter machen.»
Besonderes Gewicht hatte natürlich die Stimme Bertolt Brechts. Es ist gewiß typisch für ihn – und auch Teil seiner Erfahrung mit solchen verhörartigen Debatten –, daß er das Handwerkliche, das Literarische in den Vordergrund rückte. Brecht argumentierte erst einmal nicht ideologisch, sondern vom Text her, und man vermutet wohl nicht zuviel, wenn man eine Verabredung mit Helene Weigel erkennt. Die hatte auf das große Schlußgedicht des Textes hingewiesen: «Ich möchte von meinem Beruf her was sagen. Am Ende des Textes steht die Confessio. Es ist beim Lesen schwer zu erkennen, daß die Confessio des Faustus auf der Bühne natürlich eine ungeheuer positive Sache ist. Das Selbstbekenntnis seines Untergangs, seines Verrats, seine eigene Verurteilung ist auf der Bühne eines der wirkungsvollsten positiven Dinge. Aber dazu kann der Brecht bestimmt was Genaueres sagen.» Das tat der Stückeschreiber auch umgehend, indem er das Stichwort der Weigel aufnahm. Er las eine halbe Stunde lang die «Confessio» vor:
Nun geh ich elend zu Grund,
Und soll jeder gehn,
Der nicht den Mut hat,
Zu seiner Sach zu stehn.
Sofort nach dieser Lesung setzte ein scharfer Wortwechsel ein. Zwischen dem Funktionär Wilhelm Girnus – als Chefredakteur des «Neuen Deutschland» einer der Wächter der «reinen Lehre» – und Hanns Eisler. Die Protokolle dieser Tagung mit ihren scharfen Interventionen, Verdächtigungen, Verteidigungen und Belehrungen lesen sich stellenweise wie ein Metastück; gleichsam ein Stück zu dem «Faustus»-Stück und auch ein Stück kommunistische Inquisition. Nun hatte Eisler aber noch ein weiteres Sakrileg begangen. Gemäß seinen musikalischen Vorstellungen – und ganz gewiß dabei bereits an die gegenläufigen Möglichkeiten seiner Partitur denkend; es sollte schließlich eine Oper werden – führte er eine Antifigur ein, einen Hanswurst; der konnte den Weg des Faustus spiegeln und getreu den Traditionen der alten Volksbücher grobianisch-direkt Wahrheiten kundtun, indem er sie verdrehte. Es ist das dramaturgische Prinzip der Folie, wie es von Grimmelshausen bis Cervantes viele Autoren der Weltliteratur anwandten: Durch die Vulgarität und Verschlagenheit des gemeinen Mannes scheinen die Zwänge einer Gesellschaft zu List und Niedrigkeit durch, da anders die Wirklichkeit nicht zu bewältigen ist. Es ist die Dialektik des Komischen – das Lustige ist das wahrhaft Traurige; nur unpathetisch formuliert. Eislers vor Verhör und Folter zitternder Hanswurst träumt von dem sicheren Hort einer Nachtwächterposition und ist verführbar durch Hackfleisch. Aber die von Schdanows strenger Morallehre geprägte Kunstauffassung jener Jahre erlaubte in der DDR weder Frivolität noch solche Volten. Es gab ganz eherne Gesetze, und die ruhten auf ebenso ehernen Säulen; man nannte sie «klassisches Erbe», und um den Begriff von der «deutschen Kulturnation» zu füllen, benutzte man gerne Zitate, die sakrosankt waren. Daher das weimaranische Tremolo im Widerspruch von Wilhelm Girnus: «Das ist doch wieder typisch für diese negative Einschätzung unserer Geschichte, und zwar meine ich die Stelle, wo Hanswurst sich zum Gebackenen setzt und dann sagt: ‹Hier sitz ich, ich kann nicht anders …› Hanns Eisler mag noch so nette und amüsante Absichten subjektiv dabeigehabt haben, objektiv ist das eine Verhöhnung einer großen Stelle in unserer deutschen Geschichte.» Hanns Eisler war über diesen Vorwurf besonders empört. Nicht nur, weil er sich über einen Brief von Thomas Mann gefreut hatte, in dem der Gefährte aus kalifornischen Exiltagen ihm begeistert geschrieben und sich entzückt gezeigt hatte über den «guten, derben, deutschen Humor besonders in der Figur des Hanswurst» und in dem er gerade den Volkston lobte, den er für «ausgezeichnet getroffen» hielt. Nein, Eisler war vor allem selber ein hochgebildeter Mann, der sich souverän sowohl in
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