Stahlstiche
dem Theater beim Urfaust leichter gemacht als beim fertigen Werk, der Einschüchterung durch die Klassizität sich zu erwehren.» Was sollen wir nach Absicht der Verfasser unter «Einschüchterung durch die Klassizität» verstehen? Den Maßstab dafür muß man in der Aufführung selbst suchen. Diese Aufführung kann nur verstanden werden als Absage an die klassischen Traditionen unserer Nationalkultur.
Denunziations- und Totschlagrhetorik. Sie hat, etwa mit dem Beitrag des Eisler-Schülers Ernst-Hermann Meyer, auch den Ton des Kläglichen, was durch Eislers kleine Einwürfe illuminiert wird.
Meyer: Die Schönheit wird dargestellt als etwas Abzulehnendes, etwas Negatives, ja eigentlich als etwas Häßliches. … Ich glaube, daß unser Hanns in dieser Grundfrage der Ästhetik und der Bewertung der Kunst nicht klar sieht, und ich glaube, daß er Klarheit gewinnen muß, daß die Schönheitstheorie, die im «Faustus» faktisch zum Ausdruck gebracht wird, mit Humanismus nichts zu tun hat. Das ist ein janusköpfiges Verhalten zur Schönheit … Und jetzt lesen wir hier solche Sätze: «Aufruhr gegen die Schönheit!»
Eisler: Aber von den Sklaven, nicht von Eisler!
Meyer: Ich möchte fast sagen: Umso schlimmer!
Eisler: Aber sie können wirklich nicht singen: «Widersteh dem verfaulenden ägyptischen Feudalismus!»
Diese so peinliche wie peinigende Veranstaltung der Akademie der DDR – die vier Wochen später durch den Aufstand der Bauarbeiter am 17 . Juni 1953 sehr viel ernsthafter erschüttert wurde – hatte die Ebene der Diskussion verlassen und war auf die von Befehl, Dekret und Verbot gerutscht. Der Aufbau Verlag zog umgehend den Librettodruck zurück. Die Protokolle der Akademie-Tagung verschwanden in Tresoren und wurden
in toto
erst 1991 von Hans Bunge publiziert.
Hanns Eislers Lebenskraft war nach diesem Tribunal gebrochen, sein sprichwörtlicher
élan vital
aufs tiefste erschüttert. Der 47 jährige Meisterschüler Arnold Schönbergs, Kommunist mit österreichischer Staatsangehörigkeit, zog sich nach Wien zurück, wo seine Mutlosigkeit ihn daran hinderte, die Oper zu komponieren. Verzweiflungsvoll vertraute er seinem Tagebuch an: «Erlöschende Kraft. Die Gräue des Alters. Freudlosigkeit an der Arbeit. Keine Perspektive. Erschlaffung aller Fähigkeiten. Gleichgültigkeit.» Doch der geniale Künstler konnte sich sein Leben und sein Werk nicht ohne die Bindung an den Sozialismus vorstellen. Zehn Jahre später, 1963 , sollte er zu Heiner Müller, der sich wegen der künstlerischen Häresie seines Stückes «Die Umsiedlerin» einem ähnlichen Prozeß ausgesetzt sah, den Satz sagen: «Sei froh, in einem Staat zu leben, in dem man die Literatur so ernst nimmt.» Jetzt, 1953 , telegrafierte er, wenige Monate nach dem Tribunal, von Wien nach Berlin: «Wien, am 30 . Oktober 1953 … Ich kann mir meinen Platz als Künstler nur in dem Teil Deutschlands vorstellen, wo die Grundlagen für den Sozialismus aufgebaut werden.» Im Februar 1954 kehrte Hanns Eisler nach Ostberlin zurück, wo er bis zu seinem Tode am 6 . September 1962 lebte und arbeitete.
Tucholsky, in Ost und West zensiert
Der Fall Eisler war spektakulär, weil ein Prominenter auf der Anklagebank saß, zu dessen Verteidigern Prominente gehörten; die Eisler-Rezeption ist übrigens bis heute nebulös: Die erste Gesamtaufführung seines «Hollywood Liederbuchs», von dem er selber nie eine Aufführung erlebt hat und von dem zugleich Brecht, schockiert und angetan, Teile gehört haben soll, fand 1982 – 20 Jahre nach seinem Tod – in Leipzig statt; wo und wann? Eine ähnliche
cause fameuse
war die von Arnold Zweig Ende 1951 in der Akademie der Künste eröffnete Barlach-Ausstellung mit 140 Zeichnungen, 80 Plastiken und 100 Graphiken, die vom Alleswisser Girnus im Januar 1952 mit einem Artikel des «Neuen Deutschland» so heftig attackiert wurde, daß die Schließung der Ausstellung bevorstand, da der «rückwärtsgewandte Künstler» nicht «in die Tiefe der Seele des unterdrückten Menschen gedrungen» sei: «Seine Geschöpfe sind eine graue, passive, verzweifelte, in tierischer Dumpfheit dahinvegetierende Masse, in denen auch nicht der Funke eines starken, lebendigen Gefühls des Widerstandes zu spüren ist. Barlachs Werk enthält nichts Zukunftsweisendes. Deshalb kann er für uns nicht als Lehrmeister gelten.» Es war wiederum Brecht, der mit seinen umgehend in «Sinn und Form» publizierten «Notizen zur Barlach-Ausstellung» das
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