Stahlstiche
den deutschen Humanisten, der vor der Revolution zurückschaudert: … Der deutsche Humanist als Renegat … – in dieser Gestalt tritt uns wahrhaft ein Grundphänomen der deutschen Misere, der deutschen Katastrophe entgegen.
Die Jagd war auf. Nicht nur diese Interpretation, sondern auch Eislers ureigenes Konzept widersprach dem damals besonders streng verordneten und durchgehaltenen Modell, die deutsche Entwicklung als die eines ungebrochenen humanistischen Ganges durch die Jahrhunderte zu begreifen. Der Faschismus war in dieser seltsam undialektischen, ja: unmarxistischen Geschichtsauffassung mehr ein Unfall, eine Art historischer Naturkatastrophe, die in lange zurückdatierbare psychische und historische Strukturen nicht hineinverfolgt werden durfte. Nicht jedenfalls in der DDR , die sich als Erbe einer ausschließlich positiven Tradition sah oder sich wenigstens dafür ausgab. Genau darauf bezog sich die umgehend gedruckte Erwiderung des «Neuen Deutschland»:
Goethes Hoffnung «illusorisch»! In diesem abgrundtiefen Pessimismus liegt in der Tat das ganze Kernproblem, die Verneinung unseres klassischen Kulturerbes … Ernst Fischer in seinem «Sinn-und-Form»-Aufsatz betrachtete den Verräter und den Renegaten nicht nur als typisch für die deutsche Intelligenz, sondern für die gesamte deutsche Nation. Er setzt das deutsche Volk mit den Hitlerbarbaren gleich und leitet daraus «das Recht» für den Künstler ab, die abstoßende Gestalt des Volksverräters als typisch in den Mittelpunkt einer neuen «realistischen» «Faust»-Konzeption zu stellen. Es genügt, Stalins Ausspruch vom 23 . Februar 1942 anzuführen, daß es «lächerlich wäre, die Hitlerclique mit dem deutschen Volk, mit dem deutschen Staat gleichzusetzen», um zu zeigen, daß die gesamte Grundkonzeption des «Johann Faustus» auf völlig unhaltbaren politischen und ideologischen Voraussetzungen aufgebaut ist.
Hanns Eisler hat – in seinerzeit nicht publizierten – Notizen auf diese Angriffe reagiert. So findet sich zu dem Grobianismus, er «verneine unser klassisches Kulturerbe» und es habe doch der Geist der goetheschen Humanität sich als mächtiger erwiesen denn die antihumane Barbarei des Dritten Reiches, der kleine Satz: «Es sollte besser heißen: Er hat ihn überlebt. Können wir 1945 von einem
Sieg
des deutschen humanistischen Geistes sprechen? Das können wir
nicht,
leider nicht.» Das wäre die richtige Ebene der Auseinandersetzung gewesen. Aber für so leise wie genaue Bedenklichkeiten war die Zeit nicht reif. Wie erhitzt in dieser Epoche des Kalten Krieges jede Debatte sofort auch in eine brennende Propagandaschlacht ausflammte, zeigen die raschen und bösartigen Reaktionen der westlichen Presse.
Geh doch rüber!
Hilfreich war das wohl nicht. Und war auch nicht so gedacht. Das sollte nicht Öl auf die Wogen, sondern Öl ins Feuer gießen. Eine eigene Meinung, gar einen eigenen künstlerisch-moralischen Standpunkt zu haben – das war, zumindest in jenen Jahren, geradezu tödlich. Wer in der jungen Bundesrepublik der Adenauer und Globke aus dem Takt der Caprifischer-Duselei fiel, war ein «Gehen Sie doch nach drüben»-Verräter. Wer in der ebenso jungen DDR , die sich in Fähnchenschwingen, Fackelzügen und Aufmärschen getreu nach sowjetischem Vorbild gefiel, nicht in die geistige Marschrichtung paßte, war oft kurz vor der Verhaftung oder – unter Prominentenschutz wie Eisler – wenigstens vor einer Art Berufsverbot. Meist begann derlei mit einem Ehrengericht.
Victor Klemperer, der sich an den Satz «Wir haben schon den Juden Cassirer» erinnert, mit dem man in Hamburg seine mögliche Berufung abwies, und einen Besuch in Westberlin 1953 als «Fahrt ins feindliche Gebiet, ins Frontgelände» verspürt, hängt in seinen Nachkriegstagebüchern immer und immer wieder dem Gedanken «Wie wäre es im Westen» nach: «Ich möchte nicht nach dem Westen, aber ich möchte irgendwo unendlich weit fort von Deutschland leben können … Bitterer vielleicht als diese Niederlage ist mein Auseinanderklaffen in allem Geistigen mit der SED . Ich kann aber nicht nach Westen ausweichen – der ist mir
noch
zuwiderer … Aber im W. bin ich Sklave einer schlechten, im O. einer guten Sache.»
Im Falle Eisler wurde zu einer Tagung in der Akademie der Künste eingeladen, deren Ausgang deswegen nicht von vornherein festlag, weil neben hochrangigen Funktionären wie Wilhelm Girnus und Alexander Abusch oder Redakteuren des «Neuen
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