Stahlstiche
in Uwe Johnsons, des im Osten verbotenen Autors, «Begleitumständen» kann man nachlesen, was einem widerfahren konnte unter «Ost-Verdacht»: Der aus der DDR geflohene Schriftsteller hatte es gewagt, ab Juni 1964 im Westberliner «Tagesspiegel» Rezensionen des Ostberliner Fernsehens zu publizieren. Nur des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli störrischer Einsatz rettete ihn vor Hermann Kestens zänkischer Intervention. Indes Autoren, die aus gutem Grund von West nach Ost übergesiedelt waren – Peter Hacks, Wolf Biermann, Adolf Endler –, nur allzu rasch die Perfidie der Zensur zu spüren bekamen; von Letzterem, dem «politischen Chaoten», erschien in seiner neuen Heimat kein einziges wesentliches Buch. Der kundige Lektor Gerhard Wolf antwortet dem Autor Jürgen Fuchs, als der ihm bei einer Lesung von Christa Wolf Texte gibt: «Das ist alles sehr gut. Diese Prosa führt direkt ins Gefängnis.»
Das Zensur- und Überwachungssystem in der DDR – jede Visitenkarte, da bedrucktes Papier, hatte eine «Lizenznummer» – war derartig engmaschig, daß eine 1997 im Akademie-Verlag erschienene Dokumentation 440 Seiten Großformat benötigt, um die Verzweigung und Verzahnung zwischen – gelegentlich aufgelösten, unter anderem Namen neu formierten, jedenfalls allvorhandenen – Behörden, Ministerien, ZK , Lektoratsaufsichtsinstitutionen nachzuweisen. Das klingt mal munter, wenn etwa der notorische Kurt Hager ein Kinderbuch «Tito, die Geschichte einer Präriewölfin» verbietet, weil die Kinder den Titel «allegorisch mit dem Banditen Tito in Verbindung bringen», und mal eher bedrohlich, wenn ein Gutachten befindet:
Es gibt Punkte, wo das Amt von vornherein nein sagt. Ich will hierzu ein Beispiel anführen. Wenn ein Roman geschrieben wird, der die Übergangswochen und -monate aufzeigt und die Übergriffe der sowjetischen Soldaten geschildert werden, und wenn andererseits die geschichtliche Bedeutung der Roten Armee als Befreier vom Faschismus nicht deutlich gemacht wird, dann muß ich zu dieser Arbeit nein sagen. Wenn sich solch ein Fehler herausstellt, dann muß man mit dem Autor so lange diskutieren, bis er ihn einsieht, und ihm von vornherein sagen, daß es so nicht möglich ist.
Oft drohen die vorgesetzten Funktionäre ganz unverhohlen:
Wie dieses aus schlechtester Wildwest-Romantik, Schießer-Kultur und Steppen-Mystik in eindeutiger Kitschmanier zusammengebaute Machwerk Ihr Lektorat passieren und zu uns gelangen konnte, ist uns unverständlich. Wir möchten Ihnen vorschlagen, diese Frage zu prüfen und zum Gegenstand einer kritischen Diskussion innerhalb des Verlagslektorats zu machen.
Mal müssen Bücher wie die von Theodor Plievier eingestampft werden, weil der Autor floh; mal, weil «die Entwicklung sie überholt hat», wie das nun pazifismusverdächtige «Tagebuch in Bildern. Nie wieder» von Teo Otto, das Brecht eingeleitet hatte; und mal war gar ein Bastelbuch «Wie baue ich einen Kaninchenstall» nicht auf der Höhe der ideologischen Einsicht. Reinhold Schneiders «Inselreich» galt als Rechtfertigung des englischen Imperialismus, Erskine Caldwells «Gottes unsichtbare Hand» war «in Pornographie absinkende Elendsbeschreibung», Valérys Gedichte konnten wegen «existentialistischem Imperialismus» nicht erscheinen wie Wolfgang Koeppens «Tod in Rom» nicht wegen «Verherrlichung des Päderastentums». Vorbei die Zeiten, da der «Sonntag» (Januar 1948 ) freizügig «Für und wider den Existentialismus» diskutierte und über die von Hans Magnus Enzensbergers späterem Schwiegervater Fadejew so titulierte «Hyäne» Sartre immerhin dieses Urteil druckte:
Daß diese Romane eine gewisse Vorliebe für einige wenig appetitliche Aspekte des Lebens und der menschlichen Natur zeigen, das ist unbestreitbar. Aber ich sehe darin keinen hinreichenden Grund, um sie zu verurteilen. Denn schließlich gehören diese Aspekte auch der Wirklichkeit an, und da sie dazugehören, besitzt der Künstler das Recht, zu ihnen zu greifen und diesen Stoff zu gestalten. Schließlich hindert niemand die Leser von Sartre, die von dem bekannten Ekel erfaßt werden, als Gegengift drei Romane von Henri Bordeaux nacheinander zu lesen, was die deutschen Leser betrifft, meinetwegen von Courths-Mahler.
Koeppen tief im Sumpf
Les extrêmes se touchent:
Über des «Päderastenverherrlichers» Koeppen Roman «Tauben im Gras» konnte man 1952 im «Monat» lesen: «Weil dieses Buch sich fast ausschließlich im
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