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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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wie du am Bahnhof stehst und mir nachschaust. Verdammt noch mal, Meta, bitte geh. Oder ich werde in diesen verdammten Zug nicht einsteigen.›
    Warum nur, wenn er mich doch liebte, hatte er nicht schon vor Wochen mit Estelle definitiv gebrochen? Was für ein Leben erwartete ihn denn dort in Oxford? Gott verdamme diese heilige Erde. Mit einer Frau, die sich in die Bewußtlosigkeit hineintrank und der man das eigene Kind nicht anvertrauen konnte. Was war das nur für eine Bindung an diese Estelle, war es Mitleid, waren es Verpflichtungen jenseits der Ehe? Ich bestrafte mich mit einer sadistisch gegen mich gerichteten Energie, indem ich laut gegen das Armaturenbrett meines Autos, gegen die durch meine Tränen wie zersplittert wirkenden Windschutzscheiben, gegen den leeren Sitz neben mir, gegen den Rückspiegel schrie: ‹Dieser William Faulkner will ja gar keine Scheidung. Er will sich überhaupt nicht meinetwegen von Estelle trennen!›»
    Meta Carpenter wartete. Sie hatte ihn in Delirien, sich schreiend auf dem Boden wälzend gesehen – und geholfen. Sie hatte die Erzählungen über das vergötterte Töchterchen angehört – und verstanden. Sie hatte die bigotten Haßtiraden über die luxusverliebte trinkende Ehefrau erduldet – und verziehen. Womit sie nicht gerechnet hatte, war der Brief, der nur wenige Wochen nach der Abreise aus Hollywood eintraf. In dürren Zeilen teilte er mit, daß er noch diesen Sommer zurückkehren werde – mit Frau und Kind.
    Im selben Sommer des Jahres 1936 traf William Faulkner in Hollywood ein, in einem eleganten neuen Ford, chauffiert von einem schwarzen Diener, die Familie in der teuer gemieteten Villa an den Pacific Palisades, betreut von einem schwarzen Dienstmädchen. Der erste Weg führte zu Meta Carpenter. «Ich spürte die jähe Erregung, mit der er sich an meinen Körper schmiegte, und hörte ihn aufgeregt wispern: ‹Meine Liebste, mein langbeiniges, schönmündiges Mädchen. Ich war viel zu lange von dir weg.› Wir liebten uns so rasend, daß wir uns nicht einmal vollständig auszogen, und dann schliefen wir aneinandergeklammert für einen Moment lang ein. ‹Es hat sich nichts geändert›, murmelte Bill, ‹gar nichts.› – ‹Nein.› – ‹Wir sollen es niemals zulassen, daß sich etwas zwischen uns ändert.› – ‹Sind sie schon unterwegs, deine Frau und deine Tochter?› Traurig nickte Bill. ‹Ich hab das so nicht gewollt. Ich hatte eigentlich vor, sehr rasch zu dir zurückzukommen, als mein Agent den Vertrag mit Hollywood machte. Dann wurde zu Hause alles immer fürchterlicher. Glaub mir, es war das letzte, was ich wollte, mit der Familie hier aufzutauchen. Aber ich mußte es tun.› Ich machte Ham and Eggs, genauso wie Bill es liebte. Obwohl ich tapfer versuchte, meine Verstörung darüber, daß Estelle hier in Hollywood auftauchen und damit ja in unser Leben und unsere Liebe eindringen würde, herunterzuwürgen, brachte Bill es zur Sprache: ‹Bitte zerbrich dir ihretwegen nicht den Kopf.› – ‹Ich will es versuchen.› – ‹Nichts darf uns wirklich berühren. Nichts, was nicht ausschließlich mit uns beiden zu tun hat.› – ‹Es ist nur, daß sie so schrecklich nah sein wird.› – ‹Nichts als eine geographische Angelegenheit.› Bill schob das beiseite und schloß mich fest in die Arme. ‹Ich bin kein Pantoffelheld. Ich bin, um das strikt und genau zu sagen, nur ein liebender Vater, der sein Kind beschützen will. Du glaubst mir doch?› – ‹Ja.›
    Zwei Tage bevor Estelle mit der Tochter Jill ankommen sollte, klopfte er nachts an meiner Wohnungstür, und als ich schlaftrunken aufmachte, sah ich sofort, daß er betrunken war. ‹Bill›, sagte ich, halb im Schlaf, aber doch voller Protest, ‹es ist fast vier Uhr morgens, das ist wirklich keine Zeit für einen Besuch.› Seine Whisky-Fahne war abstoßend, er stand mit glasigen Augen in der Tür, schwankend und die Schultern rollend, als müßte er sich gegen Gespenster wehren. ‹Bitte, Bill›, sagte ich und sperrte die Tür gegen ihn. ‹Bitte, Bill, geh schlafen, ruf mich morgen an.› – ‹Meta, ich liebe dich.› Die Tür fiel ins Schloß, und ich drehte den Schlüssel zweimal um. Ich hörte ihn davonwanken und wie er mit vollem Gewicht in ein Gebüsch torkelte, wo er sich übergab; und ich dachte: ‹Mein Gott, was habe ich getan. Das ist doch William Faulkner, ich habe ihn rausgeworfen.›
    Kurz vor der Mittagessenzeit traf ein Bote bei mir im Büro auf dem

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