Stalingrad
Besatzungstruppen ihren Dienst. »Wir haben einfach Glück gehabt, das ist alles!« gaben sie später bei einem Gläschen zu. »Solche Gruppen wie unsere gab es mindestens ein Dutzend, aber wir haben es als erste geschafft, und die Sternchen haben sie uns angehängt. Es hätte durchaus anders kommen können …«
Generäle habe ich fast keine gekannt. Marschall Tschuikow, dem Oberbefehlshaber der 8. Armee in Stalingrad, den wir alle vergötterten – er ging, ohne sich zu ducken, in seiner Papacha die vorderste Linie entlang –, bin ich erst später, in Kiew, begegnet: Er befehligte den Kiewer Militärbezirk. Die Leute von »Lenfilm« hatten mich überredet, ihm das Drehbuch der künftigen »Soldaten« zu zeigen. Begeistert zeigte er sich nicht, doch beschimpfte er mich auch nicht, wie es dann die Generäle aus der Politverwaltung taten. Er sagte lediglich:
»Wieso kommt Saizew, unser berühmter Scharfschütze, bei Ihnen nicht vor? Das ist nicht richtig. Sie sollten ihn noch einfügen …«
Saizew, Held der Sowjetunion, war zu der Zeit bereits Sekretär des Kreises Podol in Kiew und hatte sich eine feiste Visage angefressen, mit ihm zusammenzutreffen, verspürte ich kein Verlangen. Von Tschuikow ist bekannt, daß er in der Zeit des Chrustschowschen »Tauwetters« zu seinem Freund Wutschetitsch, der ihn in seiner Gedenkstätte auf dem Mamai-Hügel in Gestalt eines gigantischen nackten Soldaten mit MPi verewigt hat, sagte: »Durchhalten, Bruderherz, das kriegen wir schon hin, die Partei wird sich durchsetzen!« Das war, als die Monopolisten in der Kunst um ihre Dominanz fürchteten.
Die heutige Armee kenne ich nicht. Als ich in Deutschland mein 88. Pionierbataillon – nach meiner ersten Verwundung bin ich ein halbes Jahr stellvertretender Kommandeur dieses Bataillons gewesen – besuchte, betrachtete ich voller Respekt und mit heimlichem Neid die jungen Soldaten, die sich in der neuen Technik weit besser auskannten als ich. Im 227. Garderegiment – ebenfalls meinem, ebenfalls in Deutsch land – aber setzte ich mich in die Nesseln. Nachdem die Soldaten genug von Stalingrad gehört hatten, mit dem sie dauernd gemahnt wurden, baten sie mich, ihnen von Westdeutschland zu erzählen, der Bizone, wie es damals genannt wurde – ich war gerade mit einer Gruppe von Journalisten dort gewesen. Unter dem Vorwand, ich wäre übermüdet, stoppte der Regimentskommandeur noch rechtzeitig meine mehr als patriotischen Ergüsse über die Schlamperei und Disziplinlosigkeit in der amerikanischen Armee, um mir dann zu Hause gehörig die Leviten zu lesen:
»Was erzählen Sie meinen Kerlen bloß von irgendwelchen betrunkenen amerikanischen Offizieren, die, Nutten im Arm, durch alle möglichen Nürnbergs kutschieren? Die gehen mir doch glatt über die Grenze stiften. Kommen um ohne Weiber, finden keine Ruhe nachts …«
Wir kommen zum Schluß. Ohne den Knäuel der Erinnerungen, Emotionen und Widersprüche entwirrt zu haben. Wie von einem sowjetischen (zwar gewesenen, aber die Gewohnheiten sind geblieben) Schriftsteller, der nach wie vor in der Schuld des anspruchsvollen, fordernden Lesers steht, kaum anders zu erwarten. Ich will sehen, daß der Leser dennoch zu seinem Recht kommt.
Eine der beliebtesten Fragen hier in Paris:
»Wenn nun auf der Place de la Concorde sowjetische Panzer mit dem roten Stern auftauchen, was wirst du tun?«
»Ich besauf mich gleich mit dem ersten Panzersoldaten!«
(Etwas Ähnliches, nur in einer anderen Situation, ist mir in Lublin passiert. Nachdem ich den Bierdurst von Panzersoldaten gelöscht hatte, ohne mich selbst dabei zu vergessen, stürzte ich mit Pistolengefuchtel und Siegesgeschrei auf die Krakowskie Przedmies´cie, wofür mich die Kugel eines Scharfschützen belohnte.)
»Und was weiter?«
»Dann nehme ich mit ihm den Katerschluck.«
Humorlose Leute sehen mich vorwurfsvoll, ja feindselig an.
Aber Spaß beiseite. Erstens glaube ich an keine sowjetischen Panzer auf der Place de la Concorde. Größere Feiglinge als unsere sogenannten Führer hat die Welt noch nicht gesehen. Truman brauchte bloß mit der Faust auf den Tisch zu hauen, und Stalin (selbst Stalin!) zog schleunigst seine Truppen aus dem iranischen Aserbaidshan ab, und als Kennedy Festigkeit bewies, holte Chrustschow die Raketen aus Kuba zurück. Truman und Kennedy sind nicht mehr; der zurückhaltende, sympathisch wirkende Carter ist Gott sei Dank auf seine Farm zurückgekehrt: Im Weißen Haus residiert Reagan. Viele, auch ich,
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