Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
einer Maschinenpistole, die auf seinen Bauch gerichtet war, wälzte einen kalten Zigarrenstummel im Mund, sagte »Mach doch keinen Schmus« und wollte weiter. Sein blutiges Ende beflügelte den Arbeitseifer der anderen.
    Fritz zog Hans und Rollo tiefer zwischen die Fahrzeugskelette.
    »Wieso?«, flüsterte Rollo. » Die fragen nicht, wo wir herkommen. Wir müssen da durch.«
    »Bevor ich für die noch mal ’ne S chaufel anfass, erfrier ich lieber«, antwortete Hans.
    Sie waren nicht die einzigen Gespenster auf diesem Friedhof. Zwischen den Fahrzeugen schlichen gebeugte Gestalten umher, menschliche Schakale mit stumpfen Augen, deren Gedanken sich ausschließlich um Nahrung drehten . Fritz drückte die steif gefrorene Plane eines umgestürzten Lkws ein Stück zur Seite, Hans und Rollo spähten vorsichtig ins Innere. Der Wagen schien leer. Nacheinander krochen sie hinein.

 
     
     
     
     
     
    VIERTES BUCH

 
     
     
     
     
     
    71
     
     
    A us der Dunkelheit wehte ihnen schwaches Stöhnen entgegen. Es war eine junge Russin, die auf der Ladefläche Zuflucht gesucht hatte und nun sterbend ganz hinten in der Ecke lag.
    Ein Zahlmeister hatte sie gezwungen, die Flucht von Karpowka bis in die Stadt mitzumachen. Unte rwegs hatte sie hohes Fieber bekommen, und er hatte sie auf die Straße geworfen, schweren Herzens, aber möglicherweise bestand Ansteckungsgefahr.
    Sie flüsterte den drei Soldaten zu, sie sollten weggehen, sie habe lange genug unter Deutschen gelebt und wolle wenigstens ohne Deutsche sterben.
    Aber die Soldaten verstanden sie nicht, und selbst wenn sie sie verstanden hätten, wären sie sicherlich nicht gegangen, denn auch sie waren mit ihrer Kraft restlos am Ende.
    Rollo wollte die Russin nach Waffen durchsuchen.
    »Lass sie in Ruhe!«, schnauzte Fritz ihn an. »Die tut keinem mehr was.«
    Rollo zog seine Hände zurück, nicht weil er Fritz glaubte, so ndern weil er zu erschöpft war, um sich mit ihm anzulegen. Er versuchte, in der Dunkelheit die Gesichter der anderen auszumachen.
    »Versprecht mir, dass ihr mich nicht abknallt, sonst kann ich nicht schlafen. Und ich muss schlafen. Versprecht es!«
    Ehe sie antworten konnten, sank ihm das Kinn auf die Brust, er kippte zur Seite und war weg.
    Auch die anderen fielen in einen tiefen, traumlosen Schlaf, drängten sich dabei dicht aneinander und wärmten sich an dem fieberheißen Körper der Russin.
    Am nächsten Morgen war ihr Körper kalt, und das Frühstück der drei abtrünnigen Soldaten bestand aus vier gefrorenen Kartoffeln, die sie in der Tasche der Russin gefunden hatten. Dann hörten sie laute Flüche und spähten nach draußen.
    Die Krakenarme der Feldgendarmerie hatten ihren Würgegriff auch nach den Jammergestalten auf dem Fahrzeugfriedhof ausgestreckt. Das Arbeitskommando, das einen neuen Weg durch den bis zu zwei Meter hohen Tiefschnee freischaufeln sollte, musste aufgefüllt werden.
    Fritz und Hans griffen nach ihren Waffen, aber die Feldgendarmen zogen wieder ab, ohne bis zu ihrem Unterschlupf vorgedrungen zu sein. Auch die Kettenhunde waren nicht mehr mit ganzem Herzen dabei.
    Fritz drehte sich erleichtert herum und zertrat wütend einige Lumpen, aus denen Rollo versucht hatte, ein Feuer zu entfachen.
    Rollo starrte mit blödem Kalbsblick auf Fritz’ Stiefel. Mittlerweile brauchte alles noch länger, bis es in seinen Schädel vorgedrungen war.
    »Wir führen jetzt einen Zweifrontenkrieg, Rohleder«, erklärte Hans. »Wie dein Führer.«
    Vor Einbruch der Dunkelheit konnten sie sich nicht rauswagen.
    Rollo war durch die letzten Ereignisse sichtlich gebrochen. »Ich sag euch, der Führer weiß garantiert nicht, was hier los ist.«
    »Schreib ihm doch ’n Brief«, schlug Fritz vor.
    »Scheiß-Iwan! Jetzt schießen Deutsche auf Deutsche, soweit ist es gekommen.«
    »Schimpf nicht so auf den Iwan«, sagte Hans. »Wahrscheinlich brauchen wir ihn bald.«
    Fritz und Rollo hoben die Köpfe.
    »Wir haben keine andere Möglichkeit mehr, als uns zu ergeben«, sagte Hans. Er hatte es sich lange überlegt. Es war die einzige Möglichkeit, vielleicht zu überleben. Diesem Überleben hatte er bereits so viel geopfert, seine Werteordnung, seine Ehre, sein Denken, sein Fühlen – das alles durfte nicht umsonst gewesen sein, und wenn es noch so jämmerlich war, wenn es auch ein noch so großes Bankrottgeschäft war, auf das er sich da einließ und das er jetzt schon aus tiefstem Herzen hasste und verabscheute.
    Wenigstens ein kleines bisschen schmutziges

Weitere Kostenlose Bücher