Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Feldmann. Im letzten Moment fiel er dem Gefreiten in den Arm, als Feldmann bereits nach der Puppe griff. Dann deutete er auf den Zündmechanismus.
Feldmann atmete mehrmals tief durch, wollte die Puppe aber trotzdem haben. Es war idiotisch, dennoch begann Fritz den Zünder zu entschärfen; es war einfach ein gutes Gefühl, den Krieg zu überlisten, und wenn es nur eine Holzpuppe war, die man ihm wegnehmen konnte. Rollo tippte sich an die Stirn, half Fritz aber trotzdem. Er wollte endlich hier weg.
Robbend ging es zurück. Die ersten aufrechten Schritte waren ungewohnt. Rollo stolperte.
»Finster wie in ’nem Mohrenarsch.«
»Vielleicht besser, du kri echst auf allen vieren weiter.«
Feldmann betrachtete die Puppe liebevoll. Ihre Augen standen weit offen. »Danke«, sagte er zu Fritz, »das vergess ich dir nie. So ’ne Negerpuppe hat sich meine Kleine schon immer gewünscht, aber bei uns gibt’s die ja nicht mehr.«
»Wieso?«, fragte Rollo.
Fritz wischte sich Schlamm aus dem Gesicht. »Nichtarier, ist doch klar.«
»Blödsinn!«
»Kein Blödsinn. ’ne Negerpuppe verstößt gegen’s Rassenhygienegesetz.«
Rollo registrierte übellaunig, dass wieder einmal alle gegen ihn waren. Auch der Leutnant grinste.
Sie kehrten zu ihrer Halle zurück. Verglichen mit dem Niemandsland wirkte sie richtig behaglich.
11
U nter Anleitung von Haller und Pflüger hatte man inzwischen eine alte russische Rangierlok mit Sprengstoff beladen. Musk überwachte persönlich die Vorbereitungen. Schlammverkrustet und tropfnass meldete sich der Leutnant mit seinem Stoßtrupp zurück. Der Hauptmann nickte ihnen zu und befahl ihnen, ihre Waffen zu reinigen. Den Rest, fügte er mit einem kurzen Blick auf die Uniform des Leutnants hinzu, könnten sie so lassen. Hans, überzeugt, die erste Prüfung bestanden zu haben, eilte mit leuchtenden Augen davon.
Er dachte nicht daran, dass er einfach nur Glück gehabt hatte. Er fühlte die Schwingen des Schicksals und war entschlossen, die nächste Herausforderung mit noch größerer Unerschrockenheit zu bestehen.
Für Musk war es ein Leichtes, seine Gedanken zu erraten. Er liebte es, sich Untergebene heranzuziehen, die in vorgreifendem Eifer von sich aus das Richtige taten; solchen Untergebenen musste man kaum mehr etwas befehlen, sie dachten und handelten selbst-ständig. Musk war nichts verhasster als Kadavergehorsam, der die Schlagkraft der Truppe ebenso minderte wie mangelnde Disziplin.
Natürlich setzte diese Selbstständigkeit eine Erziehung von hoher Qualität voraus, Vorgesetzte, die V orbild waren und die Truppe mitzureißen verstanden. Ein Haufen, der nur aus Angst vor dem Standgericht kämpfte, war nichts wert. Musk wollte, dass seine Leute freiwillig und aus Überzeugung ihr Leben aufs Spiel setzten, und darum musste er die Begeisterung für das große Ziel immer wieder bei seinen Untergebenen wecken. Es hatte bisher noch nie eine Situation gegeben, in der ihm das nicht gelungen war, und es würde auch nie eine geben. Davon war er zutiefst überzeugt.
Rollo und Fritz gingen zu ihrem verlassenen Gepäck und stießen dort auf zwei junge Rekruten, die die Folgen ihrer Angst vor dem Angriff mit heruntergelassenen Hosen loszuwerden versuchten.
»Die Frischlinge bei der Arschparade! Is was oder klemmt das Höschen?«
Die beiden rissen verlegen die Beinkleider hoch. Sie hießen Dieter und Bernhard, der letztere wurde Bubi genannt. Bubi sah aus wie höchstens vierzehn.
Fritz reichte ihnen eine Zeitung. »Hier. Wischt euch erst mal den Arsch ab.«
Rollo warf einen Blick auf die Zeitung und riss sie Bubi wieder aus der Hand. »He, nicht mit ’m Völkischen Beobachter, das is mein Ernst. Da steht ’ne Führerrede drin.«
Inzwischen meldete Haller d em Hauptmann, dass die Lok fahrbereit sei. Musk nahm seine Pfeife aus dem Mund und klopfte sie sorgfältig aus. »Dann brauchen wir nur noch einen Fahrer für unsere Bombe.«
Pflüger straffte seine Haltung noch etwas mehr. »Wenn ich das übernehmen dürfte, Herr Hauptmann. Ich war früher Zugschaffner.«
Musk hatte offensichtlich weni g Vertrauen in Pflügers fahrerische Fähigkeiten. »Danke, Pflüger, aber das Loch soll ein bisschen größer werden als die, die Sie geknipst haben.« Er wandte sich an die übrigen Männer. »Alle mal herhören. Hat irgendjemand Erfahrung mit einer Diesellok?«
Rollo witterte sofort die Chance fürs EK I. Er sprang auf und zerrte den völlig überraschten Fritz hoch.
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