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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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diesem verdammten Stoßtruppunternehmen nicht zurückkommen würden.
    Auf ein Zeichen des Leutnants krochen sie vorsichtig auf eine Bahnlinie zu und begannen mit der Arbeit. Fritz wurde übel. Minenräumen war schlimmer als Trommelfeuer. Bei jedem Zentimeter, den man vorrobbte, hatte man Angst, im nächsten Moment zerfetzt zu werden. Die Erde, normalerweise zuverlässigster Freund des Soldaten, wurde zum Feind. Sein Magen machte das nicht mehr mit. Er schwor sich wieder einmal, sich endlich was einfallen zu lassen, um zum Nachschub versetzt zu werden, während er sich vorsichtig über eine Geröllhalde, gespickt mit spitzen Steinen, vorantastete. Für einen Moment dachte er an den Sandstrand in Italien.
    Rollo, rechts von ihm, wünschte, nicht schon jetzt die W ette gegen den Leutnant zu gewinnen, wenn dieser womöglich gleich die erste Mine übersah. Er dachte das nicht etwa aus Mitgefühl, sondern weil dann auch die Übrigen die eigenen Linien kaum wieder heil erreichen würden.
    Immerhin schien der Leutnant kein kompletter Stümper zu sein. Hundert Meter vor dem Drahtverhau der Russen entdeckte er die erste Mine. Rollo und Fritz schra ubten vorsichtig den Zünder heraus. Dieses kleine Erfolgserlebnis gab ihnen Zuversicht.
    Sie krochen weiter. Forster knipste mit einer Schere den Draht durch. Das Gelände dahinter sah aus wie eine zerrissene Mondlandschaft, aber der alte Forster fand einen Pfad zwischen den unzähligen Trichtern, den sie gebückt entlangschlichen. Forsters Lippen bewegten sich lautlos, wenn er zur besseren Orientierung seine Schritte zählte. Der Abschnitt schien nur aus schwarzen Löchern zu bestehen und erinnerte an einen erstarrten Gewitterschauer über einem See, und auch ihre normalen Empfindungen und Gedanken begannen zu erstarren und zu verblassen, sie waren nur noch Auge, Ohr, Instinkt, und darunter lag, wie ein gleichbleibender dunkler Ton, die Angst.
    Ein deutlich vernehmliches Zis chen ließ den Leutnant herumfahren. Es waren die Verwesungsgase, die einem aufgeblähten Leichnam entströmten – für Forster ein Markierungszeichen; sie mussten sich links halten. Von dort ging es ohne Deckung weiter, über Steine, Dreck und verwesendes Fleisch. In der Finsternis vor ihnen ein erster feindlicher Graben, im gelegentlich aufzuckenden Geschützfeuer nur zu erahnen.
    Plötzlich wurde es taghell. Ein e Leuchtrakete. Die Soldaten erstarrten, pressten die Körper an die Erde. Ein paar Granatwerfer flappten.
    Forster und Hans hörten im Graben vor ihnen Geräusche. Ein feindlicher Stoßtrupp. Forster bedeutete Hans, sich tot zu stellen, und schob seinen ausgemergelte n Körper unter eine blutverkrustete Leiche.
    Schatten tauchten über dem Grabenrand auf. Offensichtlich war Forsters Trick bekannt, denn einer der Schatten stieß sein Bajonett in einen Fleischklumpen, robbte weiter auf Hans zu.
    Fritz, in Sichtdeckung hinter den verrosteten Teilen einer zerschossenen Kanone, legte auf den Russen an. Rollo war plötzlich neben ihm, drückte mit wutverzerrtem Gesicht den Lauf der MPi nach unten. Ein einziges Geräusch, und sie wären alle dran!
    Entsetzt sahen sie, wie der Russe sein Bajonett in eine Leiche unmittelbar neben Hans stieß. Jetzt mussten sie schießen! Doch keiner brachte es fertig, abzudrücken.
    Eine fluchende Stimme aus dem Graben. Der Russe verharrte, huschte dann zurück und verschwand.
    Fritz holte tief Luft. Er spürte den Herzschlag bis in die Sch läfen. Gleichzeitig begann etwas in ihm über den heil überstandenen Schreck zu lachen.
    Der Leutnant, das Gesicht im Dreck, war vor Angst wie erstarrt. Die Angst hatte nichts Berauschendes mehr. Sie lähmte und würgte ihn.
    Forster winkte ihm beruhigend zu. Das würde sich gleich wieder geben. Der Leutnant grinste maskenhaft.
     
    Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass kein weiterer feindlicher Stoßtrupp in der Nähe war, robbten Fritz und Rollo zu einer Weiche und begannen sie vorsichtig zu verstellen. Der Leutnant und Feldmann säuberten den Schienenstrang von weiteren Minen. Nachdem die erste Angst verflogen war, erschien ihnen das fast wie Routinearbeit. Sie verloren das Gefühl für die Gefahr.
    Feldmann entdeckte trotz der Dunkelheit eine Negerpuppe, die von einem Wrackteil baumelte. Er kroch zu der Puppe, Hans lächelte. Rollo und Fritz, die mit der Minensäuberung fertig waren, sahen es aus den Augenwinkeln im Schein einer Leuchtkugel. Mit einer für seine Körperfülle beachtlichen Geschwindigkeit kroch Fritz zu

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