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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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Russen stolperten mit erhobenen Händen nach oben und fanden keine Gnade; sie wurden erschossen.
    Die nachdrängenden russischen Soldaten begannen sich mit dem Mut der Verzweiflung zu wehren. Gekämpft wurde hauptsächlich mit Spaten, Piontek schwang seine Axt. Sc hwitzend, mit halb offenem Mund und vorgeschobenem Unterkiefer hieb er um sich, den Blick unverstellt von hemmenden Gefühlen des Mitleids. Wer überleben wollte, musste Spaß am Töten haben.
    Nachdem er den dritten Russen erledigt hatte, hatte auch Wölk diesen Spaß. Die anderen Infanteristen folgten seinem Beispiel. Mit jedem Gegner, den sie zu Boden schlugen, hieben sie ein Stück Angst aus sich heraus, fühlten sich besser, stärker, größer. Der bevorzugte Schlag galt dem Halsansatz.
    Auch die Sturmpioniere beherrschten ihn. Aber es war doch ein Unterschied, ob man mit dem Spaten auf eine Strohpuppe eindrosch oder auf einen taumelnden, vor Rauch halb blinden Menschen. So sahen sie diesem bestialischen Treiben zunächst eher hilflos zu; selbst Pflüger und seine kampferprobte Eliteeinheit waren von der Brutalität der Altinfanteristen geschockt.
    Dann aber brach ein weiterer Pulk Russen aus dem Keller hervor und stolperte mit Bajonetten und verbrannten Gesichtern auf die immer noch zögerlich umherstehenden Pioniere zu. Denen blieb nichts anderes übrig, als sich ihrer Haut zu wehren.
    Hauen, Stechen, Schlagen! Die Gedanken versanken in einem blutigen Brei. Die Gegner kämpften so dicht beieinander, dass man Feuerwaffen nicht einsetzen konnte. Wer seinen Spaten verloren hatte und kein Bajonett besaß, s etzte den Kampf mit Fäusten, Füßen, Zähnen fort. Steinzeit im Herz und im Hirn. Verletzte wurden gnadenlos massakriert; sich tot zu stellen war zwecklos.
    Die Deutschen, von Rauch und Flammen weniger geschwächt, gewannen zwangsläufig die Oberhand. Dann war das Schlachten vorbei. Erste Gedanken und die alte Welt kehrten nach und nach zurück. Bei den meisten breitete sich bereits barmherzig der Schleier des Vergessens über die letzten Aug enblicke. Scheu oder auch widerwillig musterten sie die Erschlagenen, als hätten sie nichts mit ihnen zu tun.
    Piontek kehrte wieder in die Wirklichkeit zurück. Er fasste sich in die Tasche, zuckte zusammen. »Kacke, ich hab meine Padde verloren, da waren dreihundert Märker drin …« Mit schwerfälligen Bewegungen begann er zwischen den toten Russen herumzuwühlen.
    Pflüger und Wölk mussten lachen. Wölk klärte Rollo, der etwas verloren in der Gegend herumstand, über Piontek auf.
    »Er nimmt sein Pulver immer mit. Hat Angst, der Quartiermeister beklaut ihn.«
    Sanitäter kamen mit Tragen in das Gebäude gelaufen. Viele Verwundete fanden sie nicht.
    Piontek war immer noch erfolglos auf der Suche. »Lacht nur, ihr Arschlöcher. Damit wollt ich meine Scheune ausbauen. Ihr habt überhaupt keine Ahnung, Kohlenkriecher, Hilfsarbeiter!«
    Während er weiterschimpfte, drehte er tote Russen mit der Stiefelspitze um und durchsuchte sie. Wölk bot Pflüger eine Zigarette an, nach kurzem Zögern auch Rollo und Fritz. Wer überlebt hatte, gehörte dazu.
    Rollo versuchte, sein innere s Gleichgewicht wiederzufinden.
    »Wir haben in der Wüste auch Einiges erlebt, aber so was …«
    »Fürs erste Mal wart ihr gar ni cht so schlecht«, brummte Wölk.
    »Nach ’m dritten Mal hast auch trockene Hosen«, fügte Pflüger hinzu.
    Fritz konnte ihre Gesichter nicht mehr sehen, ging weg, setzte sich neben Edgar; der war wenigstens still. Sie beobachteten die Sanitäter, die mit zwei Schwerverw undeten davonliefen. Wahrscheinlich würden sie nicht mal durchs Sperrfeuer kommen.
    »Hier braucht man nur Totengräber«, sagte Fritz leise.
    Wölk präsentierte den anderen triumphierend Pionteks Brieftasche, die er auf dem Boden gefunden hatte. Piontek bemerkte es nicht; er war damit beschäftigt, einem toten Russen die Uhr abzunehmen, wobei er Selbstgespräche führte. »Wirklich die letzten Schweine … Klauen einem das Geld …« Er eignete sich ein Silberkreuz an. »Ich nehm nur, was mir zusteht.«
    Hans von Wetzland fühlte sich krank, elend, aber er war fest entschlossen, wenigstens außerh alb der Kampfzeit auf dem Ehrenkodex zu bestehen, von dem er bisher geglaubt hatte, dass er für die gesamte Wehrmacht galt. »Piontek! Hier wird nicht geplündert! Das gilt auch für alle anderen!«
    Missmutig sahen sich die Landser an. Rollo nahm sich noch eine von Wölks Kippen und murmelte: »Hat er’s doch tatsächlich geschafft, den

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