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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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ersten Angriff zu überleben.«
    Piontek durchsuchte ungerührt eine weitere Leiche.
    Der Leutnant sah damit nicht nur die militärische Moral, sondern auch den bescheidenen Rest seiner Autorität auf dem Spiel stehen. Er überwand seinen Ekel vor den verstümmelten Leichen und ging auf Piontek zu.
    Wölk, der wusste, wie unberechenbar der Bauer sein konnte, kam ihm zuvor und reichte Piontek rasch dessen Brieftasche. »Hier, hab sie gerade gefunden.«
    Piontek nahm sie, zählte misstrauisch sein Geld. Die Idioten lachten mal wieder über ihn, aber das war ihm egal. Hauptsache, die Knete war noch da. Die Uhr und das Kreuz behielt er.
    Hauptmann Musk, der mittlerweile die Fernsprechverbindung nach hinten organisiert hatte, stapfte mit schnellen Schritten über das Schlachtfeld. Es war keine sehr elegante Operation gewesen, aber die Leute hatten sich bravourös geschlagen und ein kleines Zubrot verdient.
    Beschwichtigend nahm er den neuen Leutnant beiseite. »Hier in Russland ist manches anders. Es kommt immer auf den richtigen Moment an, wann man was tut oder sagt, aber das lernen Sie schon noch.« Jovial legte er seinem Untergebenen die Hand auf die Schulter. »Ich muss zur Stabsbesprechung. Sie übernehmen hier das Kommando. Auf Pflüger und Wölk können Sie sich verlassen. Versuchen Sie, Verbindung zu halten. Ersatz für die Ausfälle kommt.« Er nickte Hans zu, ließ ihn stehen und ging zu den Landsern. Eine weitere Leichenschändung Pionteks ignorierte er. »Gut gemacht, Männer.« Anerkennend nickte er Rollo zu. »Die Sache heute morgen, mit der Lok, hab ich mir gemerkt. Essen kommt gleich.«
    Gemeinsam mit den Sanitätern machte er sich auf den Weg nach hinten.
    Einigen Landsern war nicht entgangen, was er zu dem Leutnant gesagt hatte. Sie suchten das Schlachtfeld nach Wertgegenständen ab. In dem Qualm und Rauch sahen sie aus wie Krähen im Nebel.

 
     
     
     
     
     
    17
     
     
    A uf Leutnant von Wetzlands Uhr war es halb sieben, auf Rollos halb acht, auf der russischen von Piontek halb zehn; die Uhr von Wölk war kaputt. Nachdem man Pflügers Fliegeruhr zurate gezogen hatte, verständigte man sich schließlich auf zwanzig nach sechs.
    Seit über zwei Stunden war es stockfinster. Den meisten kam es bereits vor wie eine Ewigkeit. Ihre Nerven glichen ausgeleierten Gummis, die sinn- und kraftlos durch ihre Körper schlenkerten.
    Was vom Bataillon übrig war, befand sich im Keller des Büroblocks auf wenige Räume verteilt. MGs waren in Stellung gebracht worden, leichte Granatwerfer standen einsatzbereit an der Wand. Es war kalt, man konnte den Atem der Männer sehen. Außerdem regnete es. Konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Brühe in den Keller lief.
    Man beschäftigte sich mit d em Reinigen von Waffen und Geräten. Das half gegen Gedanken und Kälte. Wölk schärfte seinen Spaten, Piontek die Axt. Der Leutnant hatte sich zu Fritz gesetzt. Seine zunehmende Anhänglichkeit ging Fritz auf die Nerven.
    Hans lauschte nach draußen und dachte an den vergangenen Tag. Wie viel Blut war hier bisher vergossen worden? Es würde lange regnen müssen, um das alles wegzuschwemmen. De r Himmel weint, dachte er und versuchte zu lächeln. Aber daraus wurde nur eine klägliche Grimasse. Im Schein seiner Taschenlampe konzentrierte er sich wieder auf den Brief, den er begonnen hatte. Pflüger ließ durchzählen.
    Hans warf einen Blick auf den dicken Obergefreiten neben sich. Was mochte der wohl nach so einem Tag empfinden? Möglicherweise gar nichts. Wäre sicherlich das Beste für ihn.
    Er war fest entschlossen gewesen, die Disziplinlosigkeit des Obergefreiten in Verantwortungsbewusstsein und Ka mpfgeist umzuwandeln, aber je kälter es wurde und je einsamer er sich als einziger Vertreter der Offizierkaste in diesem Schlammloch fühlte, umso besser gefiel ihm Fritz. Man durfte sich von seinem Äußeren nicht täuschen lassen. Er war intelligenter als die meisten anderen.
    Im Hintergrund zählten die Männer murmelnd zu Ende. »… einundvierzig, zweiundvierzig.«
    Es hörte sich an wie eine müde Litanei.
    »Wie war das?«, fragte Pflüger scharf. »Lauter!«
    »Zweiundvierzig. Davon werden’s auch nicht mehr«, kam es zurück.
    »Bei Köhler im ersten Stock sitzen noch einundzwanzig von der Vierten«, murmelte ein Gefreiter.
    »W-w-wir sind mit fast vierhundert Mann los«, stotterte Wölk.
    »Erzähl’s nur jedem. Hebt die Stimmung«, knurrte Pflüger.
    Scheiß Ws, dachte Wölk. Das Stottern wurde nach jedem

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