Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Keller.
Gleich darauf gab es eine dröhnende Explosion. Dann war es für einen Augenblick überraschend still.
Hans hob Feldmanns Negerpuppe auf.
»Sie hätten mich gehen lassen sollen«, sagte er zu Musk.
»Sie hätten es nicht geschafft«, erwiderte der Hauptmann. »Sie waren mir nicht so viel schuldig.« Seine starren grauen Augen schienen aus Staub zu bestehen.
Er hat ihn geopfert, dachte Ha ns, er hat ihn bewusst und kaltblütig geopfert.
Musk ließ ihm keine Zeit für wei tere Überlegungen. »Los, Männer, jetzt zeigt es ihnen! Kompanie Pflüger mit vierter Kompanie von links Erdgeschoss nehmen! Von Wetzland, Sie nehmen von rechts mit Flammenwerfern den Keller. Wölk, versprengte Kampffähige im Erdgeschoss sammeln! Ersten Stock besetzen! Kampfgruppe Pflüger, mir nach!«
Gemeinsam mit Pflügers Leuten stürmte der Leutnant durch die Nebelschwaden auf den Mittelteil des Blocks zu. Feldmanns Opfergang mobilisierte die letzten Reserven. Die Pioniere versuchten, das Gebäude zu stürmen. Vereinzelt gelang es ihnen, in das Innere einzudringen.
Rollo und Fritz warfen sich mit einigen anderen neben von Wetzland. Der Leutnant befahl den Flammenwerfereinsatz.
»Iwankocher vor!«, brüllte Rollo nach hinten. »Jetzt werden wir den Säuen mal richtig einheizen!«
Hans sah auf die Puppe, die er noch immer in der Hand hielt, warf sie weg.
Rollo und Fritz schulterten die Flammenwerfer. Der Block spuckte noch immer reichlich Feuer. Hans hatte Angst. Plötzlich war er davon überzeugt, dass Feldmann s Tod ein sicheres Vorzeichen für sein eigenes Ende war. Am liebsten hätte er sich irgendwo in die Trümmer verkrochen.
Doch gerade in solchen Situationen durfte er sich keine Blöße geben, und so schrie er vorschriftsmäßig: »Erste Kompanie, Sprung auf, marsch, marsch!«
Seine Stimme überschlug sich. Mit den spärlichen Resten der Kompanien ging es von Deckung zu Deckung, die letzten hundert Meter über den Platz. Hundert Meter waren nahezu endlos, wenn man befürchten musste, bei jedem Schritt in tausend Stücke gerissen zu werden!
Da der Feind bereits mit Pflügers Leuten beschäftigt war, schafften sie drei Viertel der Strecke ohne weitere Verluste.
Aus dem dritten Stockwerk wurden Handgranaten in einen vor dem Haus liegenden Trichter geworfen, wo zwei Sturmpioniere Deckung suchten. Der Leutnant und Edgar rissen ihre MPis nach oben und feuerten auf zwei dunkle Schatten, die sich kaum gegen die rußgeschwärzten Wände abhoben. Die Schatten verwandelten sich unter ihrem Feuer zu Körpern, die lautlos aus den Fensterhöhlen stürzten und auf dem Boden aufschlugen. Wenigstens konnten sie den Feind wieder sehen.
Ein junger Infanterist sprang als Erster an die Hauswand und versuchte, eine verbogene Tür aufzudrücken. Hans schoss Musks Warnung durch den Kopf, während der junge Soldat wie eine Stoffpuppe samt der Tür durch die Lu ft geschleudert wurde. Der Leutnant ertappte sich erneut dabei, dass er kein Mitleid, sondern beinahe Genugtuung darüber verspürte, dass hier vorne jeder Fehler unbarmherzig bestraft wurde.
Die Nächsten hatten Pech. Sie wurden von einem Schwerverwundeten im Qualm hinter ihnen unter Feuer genommen. Hans fuhr herum, hielt direkt in das Mündungsfeuer, das wie ein Irrlicht im Rauch zu Boden taumelte.
Rollo und Fritz warfen Handgranaten durch die Kellerfenster, krochen zur Kellerwand, brachten auf dem Bauch liegend ihre Flammenwerfer dicht neben eini gen wieder auftauchenden Gewehrläufen in Stellung und betätigten beide gleichzeitig die Auslöser.
Lange Flammenzungen schossen in die Keller, lösten Schreie aus, die alles Übrige übertönten. Rollo und Fritz bissen die Zähne zusammen. Hoffentlich verreckten die da drin möglichst schnell. Hoffentlich …
Von hinten stürzten einige Russen aus den flankierenden Häusern auf sie zu. Sie wurden von Musk, von Wetzland und seinen Leuten, die sich inzwischen im Erdgeschoss festgesetzt hatten, unter Feuer genommen.
Rollo erwischte einen der Angreifer mit dem Flammenwerfer. Der Mann drehte sich schreiend im Kreis, schleuderte brennende Uniformteile von sich, wälzte sich auf dem Boden, schlug um sich und schrie vor Schmerz.
Fritz starrte Rollo nach, der bereits durch den zerfetzten Hauseingang stürmte. Sie konnten den Mann doch nicht so liegen lassen! Er richtete seine Pistole auf den Russen, als er auf einmal von verquollenen, wimpernlosen Augen, die weiß in einem schwarz verbrannten Gesicht über den bloßgelegten
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