Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Angriff schlimmer. Er malte ein W in den Sand. Erinnerte ihn an die Zeppeline seiner Alten. Er malte noch ein W dazu.
Die vier Kompanien des Bataillons würden zur Kampfgruppe zusammengefasst werden. Leutnant von Wetzland versuchte die Laune der Männer zu heben, indem er in Musks Namen baldige Verstärkung versprach.
»Wie wollen die denn durchkommen, wenn nicht mal die Fresstruppe es schafft?«, fragte Rollo. Sein Magen fühlte sich wie ein leerer Sack an.
»Der Herr Hauptmann wird sie persönlich führen«, erwiderte Hans.
»Hoffentlich schickt er nicht Haller«, sagte einer.
»Dann können wir bis Weih nachten warten«, brummte ein anderer. »Der war noch nie dabei, wenn’s nach vorn ging.«
»Du wärst auch lieber hinten«, stellte eine hohe Stimme feindselig fest. Gepresstes Lachen.
Hans schrieb weiter. Fritz beoba chtete ihn von der Seite. »Bringen Sie bloß genügend Optimismus in die Tagesmeldung, Herr Leutnant. Sonst kriegen die ja Angst da hinten.«
Es war nicht die Tagesmeldung, sondern ein Brief an Feldmanns Frau. Feldmann, der sich geopfert h atte, damit sie in diesem feuchten Kellerloch sitzen konnten. Hans versuchte vergeblich, einen neuen Satzanfang zu finden, und sah wieder auf. »Vielleicht können Sie mir sagen, wie man in so einen Brief genügend Optimismus bringt?«
Fritz zuckte mit den Achseln. Er hatte wenig Lust auf ein Gespräch.
Der Leutnant beschloss dennoch, es zu versuchen. »Übrigens, Reiser, ich hätte nichts dagegen, wenn wir trotz unserer kleinen Meinungsverschiedenheiten hier vorne etwas enger zusammenarbeiten würden.«
Der Obergefreite sah die erw artungsvolle Miene seines Vorgesetzten und bog die Mundwinkel nach unten. »Wissen Sie, Herr Leutnant, so was hört sich in der Kampfpause ganz gut an, aber im Ernstfall gibt’s von Leuten mit Schulterstücken immer nur Druck. Was anderes können die sich gar nicht leisten. Selbst wenn wir zeitweilig ’n selben Dreck am Arsch haben.«
Er stand auf und ging in den Nebenraum zu Rollo.
Hans war für einen Moment sprachlos, wollte aufbrausen, dann wurde ihm die Situation bewusst, in der er sich befand, und er hielt sich zurück.
Haller hat ganz recht, dachte er wütend. Es lohnt n icht, für diesen Haufen undisziplinierter Schwachköpfe hier vorn sein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich werde mich beim nächsten Mal ebenfalls unentbehrlich im Gefechtsstand machen.
Beschämt stellte er fest, dass di es die Gedankengänge eines Feiglings waren. Eigentlich war der dicke Obergefreite nur konsequent. Was hatte er, Hans von Wetzland, bisher für seine Leute getan? Nichts. Folglich erwarteten sie auch nichts von ihm. Er war ihnen gleichgültig. Wahrscheinlich wussten sie, dass er nicht viel für sie tun konnte.
Pflüger und Wölk versuchten sich mit einer requirierten Wodkaflasche in Truppenbetreuung. Wölk reichte den Rest gnädig an Rollo weiter, der gierig die letzten Tropfen schluckte.
»Hoffentlich führt der Hauptmann auch die Fressheinis. Hab seit zwanzig Stunden nichts mehr im Magen.«
Wölk wies auf Bubi. Der hockte in der Ecke, mit denselben leeren Augen und der gleichen Haltung, mit der man ihn im ersten Stock vorgefunden hatte. »Friss doch die halbe Portion dort.« Wölk kicherte.
»Lass ihn in Ruhe!«, sagte Fritz.
Pflüger warf Bubi einen kurzen Blick zu. »Ich kenn das.« Mit einer bedauernden Handbewegung schnippte er etwas Asche zu Boden. »Den Jungen kannste abhaken. Der kommt nicht drüber weg.«
»Was glaubt ihr, wie viel Iwans haben wir heute erwischt?«, fragte Wölk. »Ich sag euch, mindestens sechshundert.«
»Davon werden’s trotzdem nicht weniger«, meinte Edgar.
»Ich hab allein im Nahkampf fünf erledigt«, behauptete Pflüger. Dann lachte er. »Einer war so fett, der zählt für zwei.« Er ließ seine Pranke auf Rollos Schenkel klatschen. »Und du?«
»Hatte keine Zeit zu zählen.«
»Als EK I-Anwärter musst du das aber genau wissen!«
»Ich hab keinen Einzigen erwischt«, sagte Fritz trocken.
»Red doch kein Scheiß!«, sagte Rollo.
»Ich hab keinen erwischt! Kapiert, Arschloch?«
Betretenes Schweigen. Auch Ro llo war für einen Moment sprachlos. Dann sprang er plötzlich auf und zerrte Fritz hoch. »Sag mal, siehste das?« Er tippte auf seine linke Schulterklappe mit den Unteroffiziersbalken. »Ich bin immer noch dein Vorgesetzter, du bist wohl bescheuert!«
Fritz riss sich los. Pflüger dacht e an die Schießscharten in Kopfhöhe und an die russischen Scharfschützen.
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