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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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Achseln.
    »Gib mir Feuerschutz.«
    »Gib mir ’ne Knarre«, sagte das Skelett.
    Fritz war verblüfft. »Haste deine verloren?«
    Das Skelett nickte. »Schon vor ’nem halben Jahr.« Sein Geisterfinger wischte kurz über die Achsel, an der die Schulterklappe fehlte.
    Erst da begriff Fritz, warum dieser Soldat selbst für einen Stalingradkämpfer so erbärmlich schlecht aussah. »Halbes Jahr Strafbataillon überlebt? Dann kann dir nichts mehr passieren. Hol du’s Frühstück!«
    »Auch dazu brauch ich ’ne Knarre«, sagte der Mann.
    Fritz nahm Bubi die MPi ab und gab sie dem Mann, ehe der es sich wieder anders überlegen konnte. »Ich hoff, du weißt noch, wie’s geht.«
    Das Skelett überprüfte das Magazin. »Dafür kannst du degradiert werden.«
    »Komm bloß nicht mit leer en Händen zurück«, sagte Fritz.
    Der Mann rollte sich mit beachtlicher Geschwindigkeit aus der Deckung und hin zu der Leiche des Essenholers.
    Aus einem Panzerwrack vor ihm tauchten plötzlich schattengleich drei Russen auf, feuerten, der Mann feuerte zurück, während er in Deckung rollte, ein Russe fiel zu Boden, die anderen tauchten ab. Der Mann schnappte sich die Kanister und verschwand, als hätte ihn der Boden verschluckt.
    Fritz fluchte, feuerte wahllos in die Dunkelheit. Sein Mü ndungsfeuer war eine hervorragende Zielscheibe, die nicht lange ohne Antwort blieb. Er und der Kleine mussten sofort weg, sonst waren sie geliefert. Das Essen konnten sie abschreiben. Ringsum schien es von feindlichen Soldaten zu wimmeln.
    Fritz wusste es nun endgültig: Er war kein Held, nicht einmal, wenn es ums Essen ging. Das war ihm auch ziemlich gleichgültig. Weitaus mehr Sorgen machte ihm, dass es noch verdammt weit bis zu ihrer Ruine war. Wo war sie überhaupt? Ein dunkler Fleck sah aus wie der andere. Mussten sie sich nicht weiter rechts halten? Er betrachtete den Kleinen neben sich, der am ganzen Leib zitterte und drückte ihm ohne viel Hoffnung einen durchlöcherten russischen Stahlhelm auf den Kopf. Zum ersten Mal hoffte er inständig auf die nächste Leuchtkugel, aber ausg erechnet jetzt kam keine. Er begann zu schwitzen.
    Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter und er glaubte zu spüren, wie sein Herz aussetze.
    Es war das Skelett – mit zwei vollen Kanistern.
    »Hab mir schon gedacht, dass ihr stiften geht«, sagte er.
    »Und ich hab gedacht, dich hat’s erwischt. Die Iwans sind überall.«
    »Sie wohnen ja auch hier, oder?«, sagte das Skelett und schob die Kanister zu Fritz. »Auf mein Kommando loslaufen. Ich komme nach.«
    Fritz machte einen schwachen Versuch, zu protestieren. »Wollen wir nicht warten, bis die Schießerei …«
    »Die Schießerei hört nicht auf, solange wir hier sind. Mach, was ich sage, Dicker, sonst fehlst du beim Nachtisch.«
    Bubi nahm den Helm ab, den ihm Fritz aufgesetzt hatte. »Ich will nicht mit ’nem Russenhelm zurück!«
    »Haut endlich ab!«, sagte das Skelett.
    Fritz setzte Bubi den russischen Helm wieder auf und lief los.
    Die zwei Russen von vorhin richteten sich hinter der Pak auf, um sie besser ins Visier zu bekommen. Das Skelett schien damit gerechnet zu haben, gab zwei kurze Feuerstöße ab, lief dann ebenfalls los.
    Obwohl die beiden anderen be reits erheblichen Vorsprung hatten, erreichte er noch vor ihnen den Wohnblock.

 
     
     
     
     
     
    19
     
     
    A ußer Atem warfen sie sich in die Ruine, wurden mit Glückwünschen überhäuft, als hätten sie allein die ganze Stadt erobert. Selige Biederkeit durchflutete den Keller, schwemmte für einen Moment Schmerz und Leid und die Erinnerung an Leichen hinweg; sie fühlten sich wie zu Hause.
    Edgar rührte mit dem Schöpflöffel aufgeregt in einem Kanister. »Guckt mal – Leberknödel!«
    Die Soldaten verteilten kauend das Essen, und wieder einmal bewahrheitete sich, dass es für die Kameradschaft nichts Besseres gab als einen vollen Magen.
    Bubi wurde zum Maskottchen er koren und von allen Seiten vollgestopft. Wie eine Puppe, dachte Hans, die man aus dem Dreck aufhebt, weil man feststellt, dass sie doch noch mit den Augen klimpert. Sie wärmen sich an ihm und seinem Kindergesicht, das jetzt plötzlich wieder strahlt.
    Die Negerpuppe von Feldmann. Wie schnell sie vergessen konnten. Doch nur so konnte man überleben. Der Weg vom Frieden in den Krieg glich einer blitzartigen Evolution des Verderbens, und wer sich nicht schnell genug anpasste, wurde mit der Gleichgültigkeit eines Naturereignisses weggefegt.
    Hans von Wetzland hatte

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