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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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darlegte.
    »Sie haben zunächst den Gehorsam verweigert. Weiter: Wenn Untergebene ihre Vorgesetzten mit der Waffe bedrohen oder tätlich angreifen, kommen Sie vors Kriegsgericht. Unter den verschärften Bedingungen des Fronteinsatzes, ist der Urteilsspruch klar: Tod durch Erschießen.« Der Hauptmann legte eine kleine Pause ein. »War Gross auch dabei?«
    »Jawohl, Herr Hauptmann.«
    »Natürlich«, sagte Musk, und für einen Augenblick schwang so etwas wie Trauer in seinem Tonfall. Dann wurde er wieder dienstlich. »Grüßen Sie ihn von mir. Die Verhandlung wird alles klären. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen. Dort drinnen geht es um das Schicksal einer Armee, und Sie weinen wegen fünf Mann!« Er machte auf dem Absatz kehrt und schri tt rasch wieder in den Kartenraum zurück.
    Hans sah die Stiefel des Haup tmanns hinter der Tür verschwinden. Sein Herz raste, seine Beine bewegten sich wie von selbst. Er folgte dem Hauptmann, stieß einen Posten, der ihm den Weg verstellte, beiseite, trat in den Kartenraum.
    Gerade sprach der General: »Selbstverständlich haben wir uns alle erneut für eine sofortige Rücknahme der Armee ausgesprochen, notfalls unter Zurücklassung der schweren Waffen. Der Führer hat abgelehnt. Und der Reichsmarschall hat verbindlich zugesichert: Wir werden aus der Luft versorgt.«
    Der General genoss die nur schlecht verhehlte Empörung seiner Offiziere und setzte die Pointe scheinbar beschwichtigend auf den Höhepunkt der allgemeinen Unruhe: »Aber, meine Herren, ohne die Fauxpas der Führung wäre es doch langweilig gegen die Russen …«
    Hans war der Einzige, der nicht lachte. Er packte Musk am Arm, der sich erstaunt zu ihm umdrehte. Er spürte, wie sich der Raum mit all diesen uniformierten, nac h Seife und Rasierwasser duftenden Männern um ihn zu drehen begann.
    »Herr Hauptmann!«, schrie es aus ihm heraus. »Das können Sie nicht machen! Die Männer haben für Sie gekämpft, haben an Sie geglaubt! Sind wir denn alle nur ein Fähnchen auf Ihrer verdammten Scheißkarte?«
    Seine Knie gaben nach, und er hielt sich mit den Händen am Kartentisch fest. Schwer atmend starrte er auf einige Stadtausschnitte von Stalingrad: saubere, kleine Rechtecke, teilweise schraffiert, Karos, Quadrate, eine schwarz-weiße Bahnlinie wie von einer Spielzeugeisenbahn; es musste Spaß machen, damit herumzufahren. Zahlen. Additionen. Subtraktionen. Alles ging auf. Auf diesen Karten ergab das Sterben tatsächlich einen Sinn. Lauter Gleichungen, die aufgingen, auf Kosten zahlloser Leichen. Berechenbar bis zuletzt, die Toten, die Verwundeten, die Panzerwagen, die Bomben, die Geschütze, Munition und Verpflegung, alles. Nur der Schmerz, der Schmerz war nicht berechenbar.
    Sein Blick heftete sich auf einige ineinander verschachtelte Rechtecke. Geschützfabrik Barrikady. Die Halle, die sie gesprengt hatten, war schraffiert. Die Verwaltungsgebäude links und rechts bildeten mit ihrem Büroblock ein fast quadratisches U. Wie klein war das alles, der Platz, ihr Haus, ihre Zimmer, Robinsons Insel, und da war sein Name: Gruppe von Wetzland. Sein Name war bereits säuberlich mit einem Lineal durchgestrichen.
    Er fühlte die Blicke der versammelten Offiziere, die ihn mit einer Mischung aus Ironie, Mitleid, Fe indseligkeit und Neugier musterten, als wäre er ein exotisches Tier. Er hätte früher gut zu ihnen gepasst.
    »Was ist denn los«, fragte der General, unangenehm berührt. Musk entschuldigte sich, gab den Wachen ein Zeichen. Die packten Hans unter den Armen.
    »Nein!«, schrie er und wand sich hilflos im Griff der Wachen, die ihn gleichgültig zur Tür schleiften. Wie ein eiskalter Strahl bohrte sich die Gewissheit in sein Herz, dass endgültig alles vorbei war und er in wenigen Stunden sterben musste. Das nasse Haar fiel ihm in die Stirn, die Gesichter vor seinen Augen verschwammen zu undeutlichen Flecken.
    Der General stoppte die Wachen mit einer Handbewegung.
    »Gebt dem Mann einen Stuhl.«
    Die Wachen schoben Hans durch den Raum und setzten ihn auf einen Stuhl, hielten ihn aber weiterhin fest. Der General wandte sich an den Hauptmann. »Musk, was ist hier los?«
    Dem Hauptmann war es sichtlich peinlich, die Lagebesprechung mit einer derartigen Lappalie zu stören. »Wie es aussieht«, erwiderte er knapp, »haben sich einige meiner Leute den Befehlen eines Vorgesetzten widersetzt und ihn tätlich angegriffen.«
    Hentz nickte und sah den Leutnant zum ersten Mal genauer an.
    »Ist das nicht der junge von

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