Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
gleichgülti g ihn das ließ. Er musterte Hallers zitternden Schnurrbart, den auf- und zuklappenden Mund, die fleischigen Backen unter der Brille, die nervös zwinkernden Augen.
Trotz seiner Wut sah Haller i mmer noch wie ein biederer Familienvater aus. Niemand würde ihm ein solches Verbrechen zutrauen, dachte Hans, niemand. Und dann dachte er: Ich muss jetzt gleich etwas tun, sonst bin ich zu müde dazu.
Die Speichelfäden auf Hallers Kinn ekelten ihn an. Er ballte die Faust und drosch sie Haller mit letzter Kraft mitten ins Gesicht.
Erschrocken sah er, wie Haller nach hinten fiel. Was habe ich da nur wieder für einen Unsinn gemacht?, dachte er noch. Müde winkte er seinen Leuten, Herbert aufzuladen, dann erst bemerkte er, dass ihn die beiden Feldgendarmen überrascht anglotzten. Es interessierte ihn nicht.
»Sind Sie wahnsinnig? Antreten!«, kreischte Haller am Boden zwischen den durcheinander hastenden Stiefeln hindurch. Er fand seine Brille, rappelte sich auf. »Trage hinstellen, hab ich gesagt!«, schrie er und packte Fritz, der Gross und Rollo den Weg freizumachen versuchte, an der Schulter.
Fritz riss sich los, drehte sich um und stieß Haller den Lauf seiner MPi in den Bauch. Haller starrte ungläubig auf die Waffe.
»Mensch, Fritz«, flüsterte Hans. »Mach nicht alles noch schlimmer!«
»Soll er vielleicht krepieren?«, brüllte Fritz, während Gross und Bubi den bewusstlosen Herbert end lich auf die Ladefläche des Lasters schieben konnten. »Sollen alle krepieren und nur die Drecksau da überleben?«
Seine Wut machte ihn unberechenbar. Hans traute sich nicht, ihm die MPi abzunehmen. Rollo wollte eingreifen, aber es war bereits zu spät.
Weitere Feldgendarmen eilten herbei, schrien »Hände hoch!« und drückten Fritz die Mündungen ihrer Pistolen in den Rücken.
Hans sah Gross Hilfe suchend an. Der verzog verächtlich das Gesicht. »Fahr endlich los, du Hein i!«, schnauzte er den verdatterten Fahrer an. »Hier gibt’s nichts mehr zu sehen.« Der Fahrer, froh wegzukommen, sprang ins Führerhaus und gab Gas.
Erst als der Wagen davonschwa nkte, zu einem Lazarett, wo Herbert vielleicht doch noch gerettet werden konnte, schien Fritz zu begreifen, was er getan hatte. Verlegen senkte er den Kopf.
Haller witterte die Chance, seinen unvorteilhaften Auftritt in einen Sieg umzumünzen. »Na los!«, sagte er, und seine Stimme klang beinahe freundlich. »Waffe weg!«
Fritz ließ seine MPi fallen. Zwei Feldgendarmen packten ihn. Bubi stand wie belämmert in der Gegend, Rollo dachte, wie, zum Teufel, hatte das alles passieren können, und Gross starrte in eine weiße Wolkengrimasse, die der Wind über den Himmel zog.
Hans ließ sich von Hallers freundlichem Tonfall nicht täuschen. Ihm war klar, dass er sich beeilen musste, wenn er sich und Fritz und den anderen noch helfen wollte. Er drehte sich um und stürzte die Treppe hinunter in den dunklen Gang zurück. Die Rufe der Feldgendarmen und das Aufschreien der Verwundeten, auf die er trat, hallten hinter ihm her. Er hetzte weiter, bis er benommen ins Freie stolperte.
Haller hielt den Feldgendarm Slesina fest, als der die Verfolgung aufnehmen wollte. »Den kriegen wir schon.« Er wischte sich das Blut von der Nase und trat vor die anderen. »Ihr seid verhaftet. Waffen und Koppel ablegen!«
Slesina riss Gross die MPi von d er Schulter. Gross lächelte verächtlich und überreichte ihm seine Pistole. Sie hatten ihn wieder einmal überrumpelt. Er war zu erschöpft, um Widerstand zu leisten, zu ausgelaugt, um wenigstens noch einen oder zwei von diesen Schweinehunden mitzunehmen, zu schwach, um genügend Hass dafür aufzubringen. Er fühlte nur eine grenzenlose Gleichgültigkeit. Es war also endgültig soweit. Nicht mal darüber kann ich mich noch freuen, dachte er.
Bubi starrte Rollo Hilfe suchend an. Dieser ließ unter den wachsamen Blicken der Feldgendarmen seine Waffen zu Boden fallen. Sie hatten sich alle Hallers Befehlen widersetzt, also hingen sie alle mit drin. Er war sicher, dass Haller es so hindrehen würde. Rollo hatte von Anfang an gewusst, dass sie dieser Leutnant in die Scheiße reiten würde, so oder so. Aber dieser Fettsack von einem Oberleutnant würde ihn trotzdem nicht flennen sehen.
Fritz schluckte. Auch er wusste, was auf Befehlsverweigerung an der Front stand. Warum hatte er das tun müssen? Warum hatte er sich, verdammt noch mal, nicht raushalten können?
»Ich wollte das nicht«, murmelte er.
Gross schubste ihn an. »Besser a
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