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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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von einer langen Reise zurückgekehrt.
    Ludwig schreckte hoch, als die Decke vor dem Eingang zur Seite geschoben wurde. Eine Hand reichte ihm einen Topf mit wässriger Suppe und einen halben Laib Brot.
    »Und wo ist mein Fraß?«, fragte Ludwig.
    »Brüderlich teilen, sonst gibt’s nix.«
    Ludwig starrte empört in die Suppe, in der sich einige Rübenstücke verloren. »Scheiße, ich bin doch kein Sträfling! Ich werd mich beschweren!«
    »Am besten beim Führer«, k am die Antwort gemeinsam mit einigen Schneeflocken. »Ach ja, fröhliche Weihnachten!«
    »Du mich auch.«
    Ludwig verteilte missmutig die Brühe. Rollo war kurz weggetreten, blinzelte verschlafen.
    »Sag mal, ist wirklich Weihnachten?«
    »Hast es doch gehört«, antwortete Ludwig unfreundlich und fischte die wenigen Rübenstücke aus dem Topf in sein Kochgeschirr. Zu Hause hatte er jetzt immer die Gans angeschnitten. Ein dicker Kloß würgte in seinem Hals.
     
    Auch Rollo kämpfte mit unbarmherzig aufsteigenden Erinnerungen. Verloren starrte er auf die tropfenden Eiszapfen und konnte sich das erste Mal seit langer Zeit wieder an das Gesicht seines Sohnes erinnern. »Mensch«, murmelte er, »und wir haben nicht mal ’n Baum!« Er stieß Bubi an, weil er nicht einsah, wieso der selig schlafen sollte, während er einsam litt. »Los! Weihnachten! Wach auf!«
    Bubi fuhr mit einem Satz in die Höhe, griff an die Stelle, wo sich früher immer seine Waffe befunden hatte, und entdeckte als Nächstes den Suppentopf, von dem noch ein dünner Rauchfaden aufstieg. Gleich darauf bemerkte er, dass ihn alle mit einer seltsamen Spannung betrachteten.
    »Was starrt ihr mich denn so an?«
    Niemand hatte das Herz, ihn ausgerechnet heute auf den Verlust seines Ohres hinzuweisen.
    »Na ja«, murmelte Fritz schließlich. »Wir haben gerade erfahren, dass heute Weihnachten ist.«
    »Wirklich?« Die Augen des Kleinen leuchteten auf. »Da sitzen jetzt bei mir zu Hause alle unterm Baum.« Er warf einen scheuen Blick auf seine trostlose Umgebung. »Nun, viele sind ja nicht mehr übrig …«
    Man merkte, dass er sich bereits zu den Toten rechnete. Niedergeschlagen wurde die Suppe verteilt. Jeder erhielt zusätzlich ein kleines Stück Brot.
    »Können Geschmacksnerven eigentlich auch einfrieren?«, fragte Fritz nach dem ersten Löffel.
    »Wenn’s dir nicht schmeckt, gib her«, knurrte Rollo.
    Fritz kam der Gedanke, sich so zusammenschlagen zu lassen, dass er in irgendein Lazarett eingeliefert werden musste. Das wäre ein wirkliches Weihnachtsgeschenk.
    »Es gibt Leute«, sagte er langsam, »bei denen schrumpft nicht der Magen am schnellsten, sondern das Hirn.«
    Rollo war so kaputt, dass er die Beleidigung nicht mal begriff. Missmutig löffelten sie weiter die dünne Brühe.
    »Ich finde«, sagte Hans plötzlich, »wir sollten was Besseres zu Weihnachten in den Bauch kriegen.«
    »Ja«, höhnte Rollo, »mit Ser vietten und silbernen Löffeln.«
    »Und wir sollten Herbert besuchen«, fuhr Hans unbeirrt fort.
    Fritz sah ihn ungläubig an. »Die paar Kilometer hin und zurück machen wir locker zu Fuß.«
    Auch die anderen dachten, dass Hans mal wieder eine seiner üblichen Fieberfantasien hatte. Doch diesmal war es nicht so. Er kroch zu Ludwig, dem Wachposten, und zog langsam die goldene Uhr unter seinem zerschlissenen Hemd hervor, die ihm Pflüger vermacht hatte. »Herr Obergefreiter, ein Weihnachtsgeschenk von Ihren Häftlingen.«
    »Halt’s Maul und setz dich zurück nach hinten!«
    Hans wischte die Uhr an seinem Ärmel sauber und hielt sie ihm erneut hin. Ludwig betrachtete sie etwas genauer und bekam große Augen.
    »Die hättest du abgeben müssen«, brachte er schließlich mühsam hervor.
    »Ich geb sie dir«, sagte Hans und fügte betont beiläufig hinzu: »Dafür kannst du doch sicher ’ne Fahrt nach Goroditsche und was zum Fressen organisieren.«
    »Und Filzstie fel«, fügte Fritz hastig hinzu.
    »Jacken, Mensch. Und Handschuhe.«
    »Haltet die Fresse!«, schrie Ludwig. Er kam völlig durcheinander. Vor allem mit seinen Dienstvorschriften. Wenn er die Uhr betrachtete, drehte sich ihm alles im Kopf.
    Hans war klar, dass der Posten die Uhr einfach einstecken und ihn mit einem Kolbenschlag zu den anderen zurückschicken konnte, aber er ging das Risiko dennoch ein. Es war Weihnachten, da war die Aussicht auf anständige Behandlung überdurchschnittlich gut.
    Er hatte recht. Ludwig drehte die Uhr andächtig in den Händen, schluckte und sagte: »Die ist doch nie echt

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