Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
…«
    »Hauch sie an«, sagte Fritz. »Wenn sie beschlägt, ist sie aus echtem Gold.«
    Ludwig sah Hans unschlüssig an. Der nickte. Ludwig hauchte vorsichtig auf die Uhr, als fürchte te er, er könnte sie dadurch beschädigen. Natürlich beschlug das Gehäuse, wie jedes kalte Metall. Ludwig war trotzdem restlos überzeugt.
    »Mensch!« Er kroch zum Ausgang. Im letzten Moment fiel ihm etwas ein, und er drehte sich noch einmal um. »Aber nicht abhauen!«
    »Wenn du auch nur die Hälfte von dem Zeug besorgst«, sprach Gross, »sitzen wir hier bis zum jüngsten Tag.«
    Ludwig öffnete den Eingang, und ein eiskalter Windstoß überzeugte ihn endgültig davon, dass er eine Flucht seiner Gefangenen nicht befürchten musste. Er verschwand.
    »Sagt mal«, fragte Bubi plötzlich, »brennen eure Ohren auch so?«
    Alle vermieden es, ihn anzusehen.

 
     
     
     
     
     
    50
     
     
    L udwig zeigte sich von unerwartet großzügiger Seite. Motiviert durch die Uhr und bedingt durch seine christliche Erziehung, hatte er nicht nur einen Monatssold, sondern auch noch etwas von der Sonderzulage geopfert, die er für die freiwillige Teilnahme an zwei Massenerschießungen im Spätsommer erhalten hatte. Vorbildlicher Familienvater, der er war, hatte er das Geld eigentlich nach Hause schicken wollen, aber seine Frau würde das mit der Uhr sicher verstehen. Vielleicht musste sie es auch gar nicht erfahren.
    Sorgfältig versteckte er die Uhr nach einem letzten andächtigen Blick in seinem Quartier, einem der unzähligen Eisenbahnwaggons, die auf den Gleisen verrotteten, seit die Russen bei Karpowka die Bahnlinie abgeschnitten hatten. Sie waren zum großen Teil mit Schwerverwundeten vollgepfercht, für die man keinen anderen Platz mehr hatte.
    Wenig später befand er sich mit seinen fünf Schützlingen schmatzend und bester Laune auf der Pritsche eines Lkws Richtung Goroditsche. Rollo fraß mit den Fingern Schinken und Kartoffelpampe aus einer rostigen Konservendose, die ihm das Kochgeschirr ersetzte. Fritz und Hans teilten sich eine überraschend schmackhafte Pferdewurst. Ausgerechnet Gross hatte ein jämmerliches Zweiglein, behangen mit Buntpapier, zwischen den Knien, den Weihnachtsbaum. Nur Bubi, das gemeingefährliche Einohr, heulte.
    »Mensch«, stöhnte Rollo und stopfte sich noch einen Bissen in den übervollen Mund, »kalter Arsch mit Schneegestöber! Da kriegt man Glanz in die Augen!«
    »Oder Rückwärtshusten«, sagte Gross. »Friss nicht so viel!« Er hatte schon lange keinen Hunger mehr, aß mechanisch und in kleinen Bissen etwas Brot und fühlte sich wie ein platter Reifen, in den man vorsichtig etwas Luft pumpt.
    Rollo klopfte Ludwig auf die Schulter. »Bist ’n guter Weihnachtsmann.«
    »Wo haste denn die bunten Fähnchen her?«, fragte Gross. »Vom Stab?«
    Alle lachten. Hans sah freudest rahlend in das blasse Totenkopf gesicht. Der Tod, das Fieber, die blutigen Fantasien, all das war auf einmal unendlich weit weg.
    »Was halten Sie davon«, fragte er Gross, »wenn wir uns ein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk machen?«
    »Sie wollen vorschlagen, dass wir uns duzen?« Gross funkelte ihn mit zwei bernsteinfarbenen Augen spöttisch an.
    »Das hatte ich vor.«
    Gross fasste ihn freundschaftlich um die Schultern. »Ich bin ein böser alter Mann, das wissen Sie doch«, sagte er. »Aber ganz im Ernst. Wenn wir uns duzen, werden wir so intim, dass wir am Ende gar nicht mehr wissen, wer von uns welcher ist. Und das wäre ein Unglück für Sie.«
    »Machen Sie mir ein anderes G eschenk«, schlug Hans vor. »Verraten Sie mir, wie alt Sie wirklich sind.«
    »Fünfunddreißig«, antwortete Gros s. »Aber wenn es Sie an einem Tag wie heute zu sehr schmerzt, können Sie auch annehmen, ich wäre fünfzig.«
    Fritz probierte mit wachsendem Unmut die Filzstiefel durch, die Ludwig organisiert hatte. »Sag mal, sind gestern nur Gartenzwerge verreckt?«
    »Die Frontschweine sagen, dass sie jetzt nur noch Schlitzaugen abknallen«, erklärte Ludwig kauend.
    »Scheißschlitzaugen«, schmatzte Rollo. »Auf jeden Fall pfeift der Russe aus dem letzten Loch.«
    Hans warf ihm einen kurzen Blick zu. »Deswegen stehen auch nur sieben russische Armeen um uns.«
    »Sieben Armeen!« Rollo schüttelte aufgeregt den Kopf. »Fünf, allerhöchstens! Der Führer lässt uns nicht im Stich.« Er füllte seine rostige Konservendose noch mal auf. »Ihr seht doch, wir haben Lebensmittel bis Ostern.«
    »Drum haltet aus, der Führer haut uns raus«, zitierte

Weitere Kostenlose Bücher