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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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Rost aus Eisenbahngleisen aufgestapelt waren. Die Toten wurden gerade mit Benzin übergossen. Zwei weitere Haufen brannten bereits.
    »Dafür ist also Sprit da«, murmelte Fritz.
    Rollo hatte wieder zu essen begonnen. »Wenn se dich mal auf’n Grill legen, Dicker, kriegen se die gan ze Stadt zwei Tage schneefrei.«
    Bubi wurde von dem Leichengeruch schlecht. Gross starrte auf die Scheiterhaufen. »Man müsste ’ne Art Krieg erfinden, die nicht ganz so tödlich ist, was meint ihr?« Er sprang auf und riss die Plane beiseite.
    Ludwig sprang ebenfalls hoch und versuchte sich auf Gross zu stürzen, doch der entwand ihm mit einer schnellen Bewegung das Gewehr und stieß ihn zu Boden. Mit einer Hand hielt er sich am Planengestänge des Lastwagens fest und funkelte die Männer mit gefletschten Zähnen an wie ein Bote aus der Unterwelt.
    »Ihr habt wohl gedacht, der Führer räumt nur mit Juden und Bolschewisten auf? Nichts da! Der Führer leistet ganze Arbeit! Jetzt ist der deutsche Soldat an der Reihe, und dann kommt das deutsche Volk! Großreinemachen in Großdeutschland! Wisst ihr, was der Unterschied zwischen euch und den Juden ist? Die Juden mussten sie zwingen, aber ihr marschiert voller Freude und Opfermut in den Tod! Ihr liebt eure Unterdrücker und Henker! Und jetzt werdet ihr geschlachtet!« Die Gewehrmündung beschrieb einen weiten Bogen durch das Schneetreiben. »Das hier ist unser hübsches kleines Konzentrationslager. Ja, auch wir sind minderwertig. Wir haben es nicht geschafft, die Russen zu besiegen, also werden wir geschlachtet. Aus den Juden macht er Seife, aus uns Asche und Helden für die nächste Generation!«
    Alle starrten ihn an und hofften, dass er noch nicht wahnsinnig genug war, ihren Bewacher umzu bringen. Außer Hans begriff niemand so recht, was Gross eigentlich sagte. Sie wünschten nur alle sehnlichst, dass er endlich aufhörte, aber er hatte ein Gewehr in der Hand, und deshalb traute sich niemand, ihm zu widersprechen.
    Rollo begann als Erster wieder zu essen.
    »Und was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?«, fragte Hans schließlich.
    »Möglichst schnell verrecken. Je schneller wir den Krieg verlieren, umso besser für unser Land. Aber wenigstens das dürfte mit dieser Führung kein Problem sein.« Gross warf Ludwig das Gewehr zu. »Hier, kannst schon mal anfangen.«
    Ludwig betrachtete das Gewehr, schluckte. »Setz dich wieder hin«, sagte er leise.
    »Du legst mich nicht um?«
    Ludwig schüttelte den Kopf.
    »Scheiße«, sagte Gross. »Ich wollte gern an Weihnachten sterben.« Den Rest der Fahrt sprach er kein Wort mehr.
    Hans blickte nach draußen, wo der Schein der Scheiterhaufen verblasste. Alles, womit sich sein e Fantasie immer wieder beschäftigt hatte – Heldentum, Tod, Blut, Vernichtung, Schmerzen –, verbrannte dort in einer entsetzlich banalen Wirklichkeit. Wohin fuhren sie überhaupt? Ach ja, zu dem Melder, den er gerettet und den sie gemeinsam durchs Feuer geschleppt hatten. Seine Heldentat hatte sie wahrhaftig weit gebracht! Sie fuhren zu einem Todgeweihten, von dem keiner wusste, ob er vielleicht nicht schon im Jenseits weilte. Und das taten sie nicht etwa, weil sie ihn besonders gern mochten, sondern weil sie ihm durch die vielen Opfer und Leiden, die er indirekt verursacht hatte, verbunden waren.
    Weil Weihnachten war!
    Hans unterdrückte ein hysterisches Lachen. Dann drehte er sich zu den Männern um. »Wir sollten Geiger was von dem Essen aufheben.«
    »Falls er noch lebt«, meinte Fritz.
    Hans hielt Ludwigs Helm, der auf dem Boden herumgerollt war, in die Runde. »Los jetzt! Gebt schon her.«
    Alle warfen etwas in den Helm.

 
     
     
     
     
     
    51
     
     
    D er Zugang zum Lazarett konnte inzwischen mit einem Butterbrot erkauft werden. Eine Treppe führte sie in die Tiefe. Sie hatte einen Belag aus überfrorenem Schnee und Blut, der weiter unten zu rötlichem Schlamm auftaute. Ein schwerer, süßlicher Geruch, der den Magen hob, schlug ihnen entgegen. Sanitäter mit ausgehöhlten Gesichtern und gebeugten Rücken schlichen an ihnen vorbei.
    Sie tasteten sich durch die Dunkelheit der tropfenden Gänge, vorbei an zwei weiß gewandeten Mumien mit triefenden Wachstuchschürzen, deren Zähne in starrem Grinsen hinter dünnem Zigarettenrauch blinkten, und glitten auf ein gleichmäßiges Rauschen zu, das sich beim Näherkommen in ein auf- und abschwellendes Stöhnen, Schreien, Fluchen, Lallen auflöste.
    Dann lag sie vor ihnen, die Halle des Leidens. Ein Gewölbe von

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