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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Regen, schaltete die Lampe ein und ließ den Lichtstrahl um dreihundertsechzig Grad über Gräben, qualmende Lagerfeuerglut, Bierdosen, Schädelberge und Erdhaufen wandern. Schenja war auf dem Feld, fast außer Reichweite für den Lichtstrahl und unterwegs zu den Bäumen. Er hatte die Kapuze aufgesetzt, und in seinem schwarzen Anorak wäre er ohne den Reflektierstreifen an seinem Rucksack unsichtbar gewesen. Das reflektierte Licht wurde matter und matter.
    Arkadi kam plötzlich auf den Gedanken, dass Schenja sich vielleicht im Stich gelassen gefühlt hatte, als er so unvermittelt von Moskau nach Twer gefahren war. Bei all den Telefongesprächen über Ungeheuer hatte der Junge vielleicht nur auf eine Einladung gewartet, die nie ausgesprochen worden war. Arkadi hatte ihm nicht einmal gesagt, wann er zurückkommen würde. Und als Schenja in Twer aufgekreuzt war, hatte er ihn da willkommen geheißen oder wie ein überflüssiges Gepäckstück behandelt? Wertvolle Einsichten, die aber ein bisschen zu spät kamen.
    Abends erhoben sich die Kiefern wie eine feste Mauer auf dem Feld. Der Regen hatte zwar nachgelassen, aber das Wasser tropfte von den Ästen, und mit jedem Tritt versank Arkadi bis an die Knöchel in den feuchten Nadeln. Er folgte dem Funkeln einer gelben Lampe in der Mitte des Wäldchens. Auf einer Lichtung von fünf Metern Durchmesser schaufelte Urman wie ein Lokomotivenheizer, während Schenja die Erde siebte. Der Polizist war nackt bis zur Hüfte und sah aus wie ein muskulöser Buddha. Nur die Pistole im Schulterhalfter passte nicht zu diesem Bild. Er hatte bereits ein ziemlich großes Loch gegraben.
    »Schon Glück gehabt?«, fragte Arkadi.
    »Noch nicht«, sagte Urman. »Aber jetzt, wo ich einen Partner habe, wird es sehr viel schneller gehen.«
    Schenja behielt ein ausdrucksloses Gesicht. Arkadi sah, dass Urmans Hemd und seine Lederjacke säuberlich zusammengefaltet auf einer Baumwurzel neben Schenjas Rucksack lagen.
    »Schenja«, sagte Arkadi, »ist dir schon aufgefallen, dass ein Kiefernwald genauso riecht wie ein Luftauffrischer im Auto?« Schenja zuckte die Schultern. Er war nicht in der Stimmung für Witze.
    »Wo ist dein Partner?«, fragte Arkadi, zu Urman gewandt. »Nikolai bringt die Amerikaner zurück. Ich grabe die richtigen Leichen aus, und wir zeichnen es für das Fernsehen auf.«
    »Die Amerikaner sind weg. Isakow übrigens auch.«
    »Er kommt wieder, und dann holt er sie zurück.«
    »Was meinst du, Schenja?«
    »Wie Marat sagt: Wenn wir die richtigen Leichen finden … »
    »Vielleicht hast du es noch nicht bemerkt, Renko«, sagte Urman, »hier sind eine Menge Tote. Es ist ein Massengrab.« Ein Grab, wo die Toten zum Luftholen heraufkamen, dachte Arkadi. Ein Schädel, halb im Boden, starrte aus der Erde herauf. Beinknochen sahen im Licht der Lampe aus wie Kerzen. »Es ist außerdem ein Minenfeld«, sagte Arkadi. »Ich sehe aber keinen Metalldetektor und keine Sonde.«
    »Wir haben keine Zeit dafür. Außerdem ist hier nichts mehr, was explodieren könnte.«
    »Du hast es nur noch nicht gefunden.«
    »Du versuchst dem Jungen Angst einzujagen.«
    »Vielleicht sollte er nicht hier sein. Ich bleibe. Wenn du willst, grabe ich für dich.«
    »Ich soll dir eine Schaufel geben, damit du mir damit den Schädel einschlagen kannst?«
    »Was immer du willst - solange Schenja hier weggeht.«
    »Er will aber nicht weggehen.«
    Arkadi verlor die Geduld. »Du hast keinen Grund, Angst vor mir zu haben. Schön, ihr habt ein paar Leute umgebracht, aber außer Ginsberg und mir hat sich für diese Morde niemand besonders interessiert. Er ist tot, und ich bin in Twer, was ungefähr das Gleiche ist. Was ist da so dringend?«
    »Die Leute, die getötet wurden, waren Terroristen«, sagte Urman zu Schenja.
    »Ihr habt sie in den Rücken und in den Kopf geschossen«, sagte Arkadi. »Ihr habt sie exekutiert. Und die Leute, die ihr in Moskau ermordet habt, waren eure Kameraden von den Schwarzen Baretten.«
    Urmans Kopfschütteln war für Schenja gedacht. »Der arme Mann. Die Kugel hat tatsächlich Rührei aus seinem Gehirn gemacht. Siehst du, Renko, jetzt lacht der Junge.«
    Es war ein flaues Lächeln.
    »Schenja«, sagte Arkadi, »setz nicht erst den Rucksack auf. Lauf einfach weg.«
    Urman stieg aus der Grube. »Warum sollte er weglaufen und sein Schachspiel hierlassen? Und was sonst noch alles? Warum ist der Rucksack so schwer?« Urman griff hinein und zog Griffstück und Lauf einer zerlegten Pistole heraus. »Deine

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