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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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geworden.
    Die Straßenränder sind voller Werbung, die Straßen voller Werbeständer, Werbung findet sich an den Straßenbahnen, Lichtwerbung auf den Hausdächern im Zentrum, Toyota! Honda! McDonald’s! Als Kind hatte ich das Fehlen von Werbung im Straßenbild gar nicht bemerkt, und jetzt wird sie auch hier an die Haushalte verteilt. Die einzige Lichtreklame der ganzen Stadt befand sich auf dem Dachdes Hotels Viru, wodurch es zum Weißen Haus der Sowjetunion wurde.
    Annas Welt gibt es nicht mehr. Eis wird nicht mehr überall in den gleichen Metallschalen serviert, und der Kunststoff riecht nicht mehr schlecht. Mutter braucht mit ihrer Schwester nicht mehr so wie früher zu streiten. Jetzt streitet die Tante mit den noch verbliebenen Dorfbewohnern über die Grenzen von Großmutters Feldern. Großmutters Dorf hat sich geleert. Großmutter ist tot, aber die Äcker wurden an die Kinder rückübertragen. Überall verödete Kolchosen, leere Etagenhäuser, deren Türen schief in den Angeln hängen, viel grauer Beton. Dazwischen erstaunlich leuchtend hellgrüne mehrstöckige Häuser, deren heile Fenster jedes Jahr weniger werden, deren sowjetische Farbe abblättert und deren Sowjetzement bröckelt … Vene värk , russischer Murks … Vene aeg , russische Zeit … Eigentlich wurden in den Achtzigerjahren die Kolchosen, die Kollektivwirtschaften, in Sowchosen, Staatsbetriebe, umgewandelt, aber ich blieb weiterhin bei der alten Bezeichnung, und das taten auch viele andere. Außerdem waren die Löhne in der Kolchoszeit besser, sodass dieses Wort wohl einen angenehmeren Klang hatte.
    Die Gewerbsmäßigen sind im Straßenbild nicht mehr so zu erkennen wie früher. Mutter könnte nicht mehr durch ein Nicken andeuten, welche Gäste im Café, wer alles von den im Restaurant Rauchenden aus der Branche ist, ob die da mit der aufgetürmten Frisur und den ausländischen Kleidern oder die Blonde da mit dem Minirock nach einheimischer Art und den hochhackigen Schuhen, aber mit ausländischem Mantel, ob die daneben, deren Haare ganz offensichtlich mit import – Farbe gefärbt sind, oder die dort mit der verspiegelten Sonnenbrille, wie man sie hier nicht bekommt. Als Kind konnte ich das Wort prostituoitu nicht aussprechen, ich konnte es mir nicht merken und fand es schwierig, sodass ich immer prostituutti oder prostuutti sagte.Oder nur tuutti . Die Kleider waren zuverlässige Beweise, und später lernte ich weitere Merkmale. Dieser Blick, diese Frau, die dreimal ein wenig zu lange den gleichaltrigen Mann ansah, und die hier, die auf diese bestimmte Art und Weise geht, und die da, die auf diese gewisse Art und Weise herumsitzen. Als ich im Teenie-Alter war, trug ein großer Teil der Huren schwarz-weiße Kleider, das war eine Art Hurentrend, und ich konnte damals auf meinen Estlandreisen kein Schwarz tragen, und wenn ich in Finnland noch so sehr Rock und Punk war. Und auch wenn ich mich in meinen schwarz-weißen Kleidern jetzt wohlfühle, vermisse ich doch die Freudenmädchen, die um das Hotel Viru herumschwirren.
    Ich habe Sehnsucht nach Lärm.
    Die westlichen Farben sind die falschen.

ICH
WILL
NACH Hause. Zu Hause sage ich, Mutter, Mutter, das da ist wieder derselbe Mann … Und Mutter sagt, ich solle dem mal keine Beachtung schenken, ich solle so tun, als sei nichts, aber ich müsse sofort erzählen, wenn ich den Mann wieder irgendwo sehe.
    Dort, wo ich mich zu Hause fühle, stellt meine Tante auf ihrer Arbeitsstelle jeden Tag neben den Sack mit Zucker einen Eimer Wasser, sodass sich der Zucker über Nacht voll Wasser saugt und schwerer wird.
    Zu Hause fügt die Verkäuferin des Dorfladens den Preis der zurückgegebenen Pfandflaschen der Rechnung hinzu, anstatt ihn abzuziehen, schiebt nur die Holzkugeln des Rechenbretts schnell klappernd hin und her, sodass der Kunde auf der anderen Seite des Ladentischs nicht mitkommt.
    Der Pfirsichsaft ist in großen Gläsern abgefüllt, und auf dem Gut in der Nähe der Großmutter wird die Verwaltung des Kolchos eingerichtet, Genossin Merike schlägt die Holzverzierungen ab, um die Malerarbeiten an den Türen zu erleichtern, überlegt es sich dann aber anders, reißt alle Türen heraus, wirft sie in den Kamin, die jahrhundertealten hölzernen Blätter und Ranken, und will stattdessen feuerfeste Türen haben, denn der Feind könnte versuchen, ins Hauptgebäude des Kolchos einzubrechen, wenn nicht gar, es zu erobern.
    Dort zu Hause gibt es überall eine Mittagsstunde, während der die Geschäfte,

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