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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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sagen, wer.
    Im darauffolgenden Jahr übernahm Juuli die Organisation der Papiere. Aufgrund eines ärztlichen Attests, das Großmutter eine schwache Gesundheit bescheinigte, durfte Juuli ausnahmsweise anstelle der Großmutter die Einladungspapiere beantragen, obwohl sie keine nahe Verwandte von uns war, sondern Mutters Bekannte. Die Behörden waren nur einige Stunden am Tag geöffnet, mit Vorliebe währendder allgemeinen Arbeitszeit, aber zum Glück erledigten auch alle anderen ihre Angelegenheiten während der Arbeitszeit, sodass Juuli durch die Beschaffung der Papiere keine Nachteile erwuchsen. Juuli war politisch untadelig, und sie wohnte mit ihren beiden Söhnen in einem Eigenheim – da gab es genug Wohnfläche, um Gäste aus dem Ausland unterzubringen, und auch sonst war das Haus in einem Zustand, dass es der Sowjetunion nicht zur Schande gereichte.
    Auf die von Juuli beschaffte Einladung wurde positiv reagiert.
    Aber Großmutters Bein hinderte sie daran, nach Tallinn zu kommen.
    Mutter ging von einem Amt zum anderen. Der für Sondervisa zuständige Mann wiederholte, dass aus dem Gebiet Haapsalu eine negative Antwort gekommen sei. Aber meine Mutter Sofia kann nicht nach Tallinn kommen. Ihr Bein trägt sie nicht, und sie hatte einen Herzanfall.
    Na, dann fahren Sie zu ihr, sagte der Mann, fahren Sie.
    Mutter sagte mir, sie habe dem Mann nichts anderes als Rasierwasser und – schaum in einer hübschen Verpackung gebracht sowie Kaffee. Nichts weiter. Stell dir vor.
    Im Jahr 1987 bekamen wir aus Tallinn Sondervisa für Haapsalu. Mutter bat die Tante nicht mehr darum, sich um Einladungspapiere für uns zu kümmern.
    Das bedeutete natürlich, dass wir für Juuli noch mehr Mitbringsel heranschaffen mussten als bisher. Und das wiederum bedeutete Mehrausgaben. Sämtliche sporadischen kleinen Einkünfte meiner Mutter gingen für die Beschaffung der Sachen für Estland drauf, und außerdem knapste sie etwas vom Wirtschaftsgeld ab. Es gab zu viele Begehrliche, und Geld war zu wenig da. Das alles erfuhr ich nur durch Zufall, als ich bemerkte, wie sorgfältig Mutter sich in die Schlussverkaufskultur vertiefte. Wenn es im Sonderangebot gerade passende Schuhe für Juuli gab – Gott sei Dank hatte Juulieine kleine Größe, und deshalb fanden sich für sie immer herabgesetzte Schuhe –, aber der Zehner im Portemonnaie war das Essensgeld für diesen Tag, Mutter kaufte sich nichts zu essen und sorgte nur für das Essen ihres Kindes. Und wenn sich im Ausverkauf für Juuli ein passender Rock fand, verzichtete Mutter stattdessen auf ihre Haarfarbe. Weil wir Kartoffeln aus eigenem Anbau hatten, konzentrierte Mutter sich darauf, tagaus, tagein Kartoffelbrei zu essen. Sie wollte nicht, dass Vati sah und erfuhr, wofür ihre kleinen Einkünfte draufgingen. Deshalb bat sie auch Vati niemals um Geld, sondern erklärte, sie habe genug.
    Einen Mantel für Maria – oder die eigenen Schuhe zum Schuhmacher?
    Deodorant für Linda – oder Zahnpasta für sich selbst?
    Strumpfhosen für Juuli – oder für sich selbst?
    Die Wahl fiel immer auf die Person, die nicht Mutter war.
    Und dann noch die für den Verkauf bestimmten Kleider, die auch Vorrang hatten vor dem, was Mutter gebraucht hätte.
    Auch die Löcher in den Zähnen mussten bis zur nächsten Reise nach Estland warten.

MUTTER
FÄHRT
NACH Tallinn, um einiges zu erledigen, und Vati stößt dann dort zu uns. Ich bleibe bei der Tante und ruhe mich aus. Dann ruft Mutter aus Tallinn an und sagt, ich brauche nicht nervös zu werden. So als könnte ich das überhaupt. Unser Auto ist im Zentrum von Tallinn von einem bewachten Parkplatz gestohlen worden. Die Versicherung hat ihre Bedingungen gerade so geändert, dass sie nicht in Ländern außerhalb der EU gilt. Die Polizisten notieren die Angaben falsch, und zur Fahndung wird ein ganz anderes Auto ausgeschrieben als unseres. Vati findet, das sei alles wieder Mutters Schuld. Es war ein neues Auto, ein Audi, und gerade die sind in Russland zurzeit begehrt.
    Wenn wir in Estland mit dem Auto unterwegs waren, haben wir uns immer sehr vorsichtig verhalten, haben alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen, sind im Hellen aus der Stadt hinausgefahren, wenn wir ein weiter entferntes Ziel hatten, und dort haben wir den Wagen den Blicken entzogen, indem wir ihn in einem Schuppen oder im Gebüsch parkten. Wir hielten nicht an, wenn jemand auf die Straße sprang, sondern gaben Gas, ebenso, wenn jemand vermeintlich verletzt auf der Straße lag. Und dann wird das

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