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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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hörten, auch wenn sie es wahrscheinlich nicht verstanden, sie gingen einfach weiter in ihren viel zu kleinen, strämmenden Kattunkleidern, die ich anstarrte. Mutter sagte, all die Russinnen, die in jungen Jahren so klein und zierlich waren, würden mit der Mutterschaft füllig. Aber diese fülligen, schnurrbärtigen Frauen gibt es nicht mehr.
    Und warum ist es hier so still? Wo sind all die aus dem Stern von Vietnam auf der anderen Straßenseite grölend nach Hause torkelnden Männer? Wo ist der niedrige, wie ein Schuppen wirkende Stern von Vietnam selbst, der Markt der Wunder, aus dem der Mann meiner Tante mit in Papier gewickelten Filetsteaks unter dem Arm oder einer Tüte Schweineohren nach Hause zurückkehrte? Gegen alle möglichen Dinge wurden dort Schnaps, Bier oder zunächst Geld eingetauscht, das dann in Alkohol umgerubelt wurde. Auf seine Lage konnte man nur aus dem Gesang und dem Krawall schließen, es gab keine beleuchteten Fenster, geschweige denn irgendwelche Schilder.
    Wo sind die Armeeautos, die knatternd und so, dass der Staub nur so stiebte, diese Straße entlang zu den Kasernenfuhren? Wo all die tieffliegenden Maschinen der Armee auf ihren Übungsflügen?
    Das Haus meiner Tante aus bröckelnden Ziegeln ist das letzte vor dem Militärgelände, das fünfzig Jahre lang nicht von Zivilisten betreten werden durfte. Die Kasernen mit den roten Wänden stehen jetzt leer, Unkraut überwuchert die Wege, die kaputten Fenster und die schlagenden Türen gleichen denen in den anderen verödeten Dörfern und den Überresten von Kolchosen. Das Meer ist nahe, nur einen Steinwurf entfernt, und der Seewind. Ich mache Spaziergänge zum Ufer, auf das ehemals verbotene Gelände, dort ist niemand, dort starrt mich niemand an, höchstens ein paar streunende Hunde. Und die Vögel. Ich mache einen Ausflug mit Proviant auf die Stufen der verödeten Häuser, zu den verödeten Wegen, auf den Grasplatz eines verödeten Hofs.
    Nach Einbruch der Dunkelheit gibt es hier immer noch wenig Lichter und außerhalb der Zentren überhaupt keine Straßenbeleuchtung, immerhin sind die Verkehrsschilder allmählich an ihre Plätze zurückgekehrt – nach der Unabhängigkeit wurde für Schrott so gut gezahlt, dass es sich lohnte, Metall zu stehlen. Personenwagen verkehren zwischen Tallinn und Haapsalu nur selten. So wie früher. Aber die knatternden Lastwagen der Kolchosen sind verschwunden, die Landstraße ist erneuert, das Auto hüpft nicht mehr, und das lange Heck eines Wolgas schlägt nicht immer wieder auf den Boden auf. Womit bewegt man sich hier eigentlich fort? Wo sind die Busse? Wo sind all die Kinder geblieben?
    Über eine für finnische Touristen gut instand gesetzte Landstraße kommt man auch nach Saaremaa. Am Rand dieser Landstraße stehen immerhin Straßenbegrenzungspfosten mit Reflektoren, auch wenn es keine Beleuchtung gibt.
    Das Gelände des militärischen Sperrgebiets ist immer noch ungenutzt, dort geht immer noch niemand hin, weildort nichts ist. Ich fühle mich dort wohl. Denn dort kann ich mich prima erbrechen. Dorthin kann ich ganz unbemerkt einen Proviantkorb mitnehmen. Es geht auch, wenn ich auf Verwandtenbesuch in einer hellhörigen Wohnung bin, in der sich mehrere Personen aufhalten und in der es nur ein einziges Badezimmer gibt, was für eine Bulimikerin eine schwierige Situation ist. Ich möchte, dass mir keine schlimmen Fauxpas mehr unterlaufen. Der eine war genug. Damals, als wir das Wochenende auf dem Land verbrachten, wo ich mit Kaffee und meinen fünfundvierzig Kilo in der Schlafkammer lag und es am Abend draußen stockdunkel war und ich mich erbrechen wollte, es keine Innentoilette gab und das einzige Stückchen Erdboden, das weich genug war, dass ich es mit der Galosche aufgraben und irgendwie in dem zwischen den Vorhängen herausdringenden Licht erkennen konnte, im Blumenbeet meiner Tante lag, das ich in der Nacht nicht als solches erkannte. Ich bedeckte das Loch, das ich gegraben hatte, meiner Meinung nach mit genügend Erde und warf etwas wie Reisig darauf. Am Morgen erwachte ich davon, dass meine Tante sich darüber wunderte, was mit ihrem Blumenbeet passiert war. Was ist das? Von welchem Tier kommt eine solche Hinterlassenschaft?
    Die Miliz ist überall verschwunden. Wir werden nicht mehr beobachtet. Wir dürfen uns frei bewegen, soweit wir es angesichts der Kriminalität wagen.
    Das Warenhaus von Tallinn hat offenbar einen Panoramalift bekommen, also einen Panorama-!
    Aus Roosikrantsi Äri ist Spar

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