Stalins Kühe
ausländischen Schnaps kosten, und alle fanden immer, dass er besser war, obwohl die Flasche den bekannten Stolitschnaja Wodka enthielt.
Katariina besorgt dem Finnen Marzipan und Kaviar, die er nach Finnland mitnehmen möchte, nimmt aber keineMitbringsel mehr an. Und obwohl sie einen Minirock trägt, kommt sie mit Strümpfen und Strumpfbändern zurecht, wenn die Strümpfe lang genug sind. Da braucht sie keine Strumpfhosen. Und Kleiderstoffe bekommt sie von ihrer Bekannten, der sie Bücher gibt, die »für die Bibliothek der Firma« bestimmt waren. Die wurde eigens zu dem Zweck gegründet, um von den Verlagen Bücher in estnischer Sprache zu bekommen, die sonst nirgendwo zu haben sind, denn die Auflagen sind sehr klein. Das aus dem Finnischen übersetzte Sexhandbuch »Offen über die Ehe« kostet laut Aufdruck siebenundfünfzig Kopeken, aber in der Stadt wird es schon für fünfundzwanzig bis fünfzig Rubel gehandelt – von der Auflage von achtzigtausend Stück gelangt kein einziges auf den Ladentisch. Das Siebenundfünfzig-Kopeken-Buch »Offen über die Ehe« wechselt für einen tschechischen Kleiderstoff im Wert von fünf Rubel den Besitzer, und aus dem Kleiderstoff wird in Katariinas Nähmaschine ein Minikleid.
DAS
ESTLANDE
UNABHÄNGIG wurde, erregte bei uns kein großes Aufsehen. Ich erinnere mich nicht, was es in Finnland darüber für Meldungen gab. Ich erinnere mich nur an die Buttons der Punks mit der Aufschrift »Für ein freies Estland«. Ich glaube sogar, dass Mutter von der ganzen Sache nichts hören wollte. Sie war ihr nicht wichtig, damals nicht mehr. Großmutter hatte ihren zweiten Herzanfall bekommen, lebte bei der Tante und konnte von dort nicht mehr weg. Mutter wollte verzweifelt zu Großmutter fahren, konnte aber nicht, denn sie hatte von Vati eine Weile nichts mehr gehört.
Vati hätte schon aus Moskau zu Besuch kommen müssen, ließ aber nichts von sich hören oder sehen, vielleicht gab es Probleme mit dem Visum, wer weiß. Mich konnte Mutter nicht allein lassen, andererseits aber auch nicht mitnehmen, denn dafür hatte sie nicht genügend Geld, und wegen so was wird Vati nicht um Geld gebeten. Und es gab überhaupt niemanden, mit dem sie die Sache hätte besprechen können. Zu dem ich hätte gehen können. Nicht wegen so einer Sache. In dem großen, typisch finnischen Haus grämte Mutter sich allein, schrieb Briefe und erwartete Briefe und überlas die Passagen über die zunehmend ausufernde Rationierung von Lebensmitteln, Lebensmittelkarten und Schlangen, in denen man stehen musste, um wenigstens das zu bekommen, was einem zustand.
Die Tante stellte sich vor der Ladentür an, bevor sie zur Arbeit ging, in der Mittagspause und auch nach der Arbeit.
Mehl, Fleisch, Nudeln, Butter, Grieß, alles gab es auf Karten.
Großmutter hatte den Appetit verloren, und deshalb war es für sie ohne Bedeutung, dass sie nicht Schlange stehen konnte.
Dennoch wollte Mutter wissen, was der Großmutter schmecken würde, verlangte von ihr, aufzuschreiben, wovon sie träumte, ich werde es beschaffen, egal, was es ist. Sei so lieb, Mütterlein, liebste Mutter, sei so lieb und schreib, was immer dir einfallen mag, worauf auch immer du Appetit hast, ich werde dir bringen, was du schon immer mal probieren wolltest, aber nicht bekommen hast, was könnte das sein? Und auch in den Devisengeschäften gibt es alles, lass es dir dort besorgen, ich bring Finnmark mit, damit bezahlst du dann den Helfer. Für Finnmark bekommst du, was du willst. Mütterlein, kleine Mutti, liebe Mutter, du musst essen! Haferbrei allein genügt nicht!
Großmutter wusste nicht, was sie aufschreiben sollte, denn sie wusste nicht, worauf sie Appetit hatte.
Mutter packte die Koffer voll mit allem, von dem sie annahm, dass Großmutter es essen könnte. Die Hürden auf dem Weg des Nahrungsmitteltransports brachten sie in Rage, und während sie in ihren Briefen eindringlich danach fragte, was Großmutter gegessen hatte, schrieb sie ihr auch, was für Essen sie selbst zubereitet hatte, wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, dass das Großmutters Appetit anregen würde, und wie es Anna geschmeckt hatte, Anna aß ja ebenso schlecht wie die Großmutter, ganz unmöglich. Am Mittwoch hatte Mutter Lachs gemacht, war das etwas, was der Großmutter schmecken würde? Anna hatte davon nichts gegessen, weil Anna keinen Lachs mag. Am selben Tag hatte sie auch Haferkekse gebacken, davon könnte sie welche mitbringen, und davon hatte auch Anna mehrere Bleche
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