Stalins Kühe
in Bettwäsche schlief, die die Frau des Mannes gebügelt hatte, und Speisen aß, die die Frau zubereitet hatte. Katariina weiß doch, dass es sich »in der Sowjetunion gut leben lässt, wenn man ein Auto, eine Wohnung und einen finnischen Liebhaber« hat. Nach dem Ende der Dienstreise würde der Mann jedoch nach Finnland und Ella zu ihrem früheren Mann zurückkehren. Bis dahin würde es nicht mehr lange sein.
Was, wenn Katariinas Finne genau so einer ist? Katariina erzählt Ella nichts von ihren Zweifeln und fragt sie nichts, obwohl sie es könnte, denn Ella weiß ja wohl einiges, aber nein, das wäre demütigend. So lange ist Katariina nun doch schon mit ihrem Finnen zusammen, dass sie ihn zu sich einladen kann, was es ihr ermöglicht zu überprüfen, ob er in Bezug auf seine Ehelosigkeit geschwindelt hat. Als er bei Katariina auf dem Sofa schläft, kontrolliert sie die Richtigkeit seiner Angaben im Pass. Denn die finnischen Bauarbeiter bekommen gegen ihren finnischen einen sowjetischen Pass, wenn sie nach Tallinn kommen, für die russischsprachigen Behörden müssen sie russischsprachige Personalausweise haben, und in dem sowjetischen Pass werden immer der Familienstand, die Zahl der Kinder, das Geburtsdatum und der Name vermerkt.
Der Finne hat die Wahrheit gesagt. Er ist ledig, und er hat keine Kinder. Katariina hat sich umsonst geängstigt.
Außerdem ist Katariinas Finne ein Fachmann, kein Gehilfe, wie es der Simo des Fräulein Verkäuferin gewesen war. Ein Fachmann bleibt sicherlich bei seiner Arbeit, und diese Arbeit wird in der Stadt gemacht und nicht in irgendeinem Kuhstall. Komisch ist auch, dass die Finnen Gehilfen haben, Zimmerleute und Klempner und Elektriker und so, während hier alle Beschäftigten selbst Zimmerleute oder Klempner oder Elektriker sind – keiner von ihnen ist ein Gehilfe, und keiner von ihnen hat einen Gehilfen.
Vielleicht würde zwischen Katariina und dem Finnen alles gut gehen.
NATÜRLICH
IST
JEDE Frau an einem gewissen Punkt eine Hure. Aber die einen sind mehr Hure als die anderen. Die einen haben es mehr im Blut; die anderen haben es gelernt oder sind hineingewachsen, wieder andere sind es von Natur aus. Warum sind alle estnischen Frauen Huren? Haben sie das in den Genen? Das fragt sich die Zeitung Helsingin Sanomat in Kirstis Kolumne ganz öffentlich.
Was nützte es mir, festzustellen, ja, meine Mutter ist Estin, aber sie ist von Beruf Diplomingenieurin, wenn auch bei den Einstellungsgesprächen das Interesse weniger ihren arbeitsbezogenen Ideen als der Intensität ihrer »Kooperationsbereitschaft« galt, zum Beispiel bei einem Abendessen, wie wäre es damit?
Mutter setzte mich unter Druck, drängte mich, ließ mich schwören, dass ich über meine Halbblütigkeit Stillschweigen bewahren würde, selbst wenn es für die Wahrheit Beweise gab, selbst wenn Mutter mit den Lehrern finnisch und estnisch durcheinander sprach, das würde man immer irgendwie herunterspielen können, denn meine Sprache, meine Hautfarbe oder mein Name verrieten nichts, und ebenso wenig Mutters Name Katariina. Oft wurde Mutter für eine Finnlandschwedin gehalten, weil ihr Akzent mehr danach klang. Die Reisen hinter die Grenze konnte man immer mit der Arbeit der Eltern erklären, wenn sie irgendwie zur Sprache kamen oder wenn jemand einen Blick in meinen Pass werfen konnte. Verwandtenbesuche konnte man Verwandtenbesuche nennen, aber man brauchte nicht zu erzählen, wo die Tante nun eigentlich wohnte. Oder man konnte die Tante, zu der wir fahren wollten, mit den Schwestern des Vaters verwechseln, die an passenden Orten überall in Finnland wohnten. Es genügte vollkommen, dass die Verwandten meines Vaters von diesen Wurzeln wussten. Mit ihnen wollten wir so wenig wie möglich zu tun haben, nur dann, wenn Vati auf Urlaub nach Finnland kam.
Ich verstand ja, dass, wenn meine Halbblütigkeit bekannt würde, man mich nur deswegen begehren würde, weil ich eine Russenhure bin, und wenn man mich nicht begehrte, würde man mich deswegen nicht begehren, weil ich eine Russenhure bin, eine kleine russische Schleimfotze. So sagte es Mutter. Ich würde jemand sein, dem gegenüber die Menschen sich anders verhielten, wenn sie es wüssten, sie würden mich anders behandeln, andere Geschichten erzählen, nach anderen Dingen fragen. Niemand will dich dann wirklich. Sie würden mir ihre Hand zwischen die Schenkel schieben, weil ich letzten Endes doch nur eine estnische Hure und das Balg einer estnischen Hure bin, wenn
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