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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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voll verputzt. Und eine Pastete, in einer leicht zu öffnenden Dose, eine Konserve, die könnte sie jedenfalls mitbringen,die hält sich. Auch andere Konserven gibt es, in handlichen kleinen Dosen, die isst man auf, bevor sie schlecht werden. Auch Lachs gibt es als Konserve. Und wie wäre es mit Tütensuppen, dafür braucht man nichts anderes als heißes Wasser, die isst selbst Anna oft, manchmal mehrere am Tag. Wenn sie einige zur Probe mitbrächte, könnte Großmutter später sagen, ob sie ihr geschmeckt haben oder nicht. Und ein paar Pastillen, es ist angenehm, die zu lutschen. Zwei Monate nach der Unabhängigkeitserklärung starb Großmutter.
    Und Mutter hatte keinen Grund mehr, dorthin zurückzukehren, wo ihr Zuhause gewesen war.
    Als Mutter und ich zum ersten Mal den Boden des unabhängigen Estlands betraten, waren wir unterwegs zu Großmutters Beerdigung.
    Als Vati endlich nach Finnland kam, erfuhren wir, dass das Visum tatsächlich in irgendeinem Amt liegen geblieben war. Die Telefonzentrale war vollkommen überlastet gewesen. Vati hatte angeblich viele Abende lang im Hotel neben dem Telefon gesessen und darauf gewartet, dass das bestellte Ferngespräch kam, aber es hatte nicht geklappt.
    Hast du die Russinnen in dem Büro nicht genügend zum Lachen gebracht?, fragte Mutter.
    Vati tat, als hörte er es nicht.

1972
    Katariinas finnischer Mann ist der erste Finne, den Katariina kennenlernt. Während ihrer Studienzeit waren nur einige wenige finnische Touristen nach Estland gekommen, die ersten Mitte der Sechzigerjahre. Sie trugen braun karierte Anzüge und auf dem Kopf einen Hut mit Feder. Die Studentenwohnheime wurden an die finnischen Touristen vermietet, als es das Hotel Viru noch nicht gab und wenn das Hotel Tallinn ausgebucht war. Aber Katariina bekam sie nicht zu sehen, denn wenn ihr Zimmer von finnischen Touristen genutzt wurde, war sie zu ihren Eltern aufs Land gefahren.
    Nach ihrem Studienabschluss war Katariina auf der Baumesse in Pirita in ihrer Eigenschaft als junge, vaterländische Spezialistin – so hatte man sie in einer Rede genannt, die auf der Messe gehalten worden war. Auf der Messe hatte es auch Finnen gegeben, die ihre Baumaterialien vorstellten, sie waren höflich gewesen und korrekt gekleidet. Aber das hatte sie nur im Vorübergehen gesehen. Das war alles, was Katariina mit eigenen Augen von den Einwohnern des gefährlichen Kaplandes gesehen hatte. In der Stadt kursierten immer mehr Gerüchte über die finnischen Bauarbeiter. Oder, besser gesagt, über deren Freundinnen, die sich einbildeten, sie würden einen Millionär heiraten, aber wenn sie in Finnland ankamen, waren sie mit den Familien konfrontiert, die der Mann wegen der Estin verlassen hatte, und mit Unterhaltszahlungen. Die Einkäufe, die sie mit der Kreditkarte des Mannes getätigt hatten, lösten bei ihmkeinen Jubel aus, sondern Wutanfälle. Katariina wollte nicht zum Objekt solchen Tratsches werden. Alle wussten von der Verkäuferin aus dem Kaufhaus in Tallinn, die eine außergewöhnliche Beute, einen jungen finnischen Junggesellen, geheiratet hatte. Das Kaufhaus von Tallinn war ein außerordentlich geschätzter und wichtiger Arbeitsplatz, denn alle Waren gingen durch die Hände der Verkäuferinnen, und die waren sich ihrer Stellung bewusst und dessen, was sie für eine wichtige Beziehung für jeden ihrer Bekannten darstellten. Das betreffende wichtige Fräulein Verkäuferin bildete sich ein, es würde durch ihren finnischen Junggesellen eine noch bessere Stellung erlangen, aber der frischgebackene Ehemann führte das wichtige Fräulein Verkäuferin keineswegs in eine Helsinkier Wohnung, sondern aufs Land, wo es als Erstes einen Eimer in die Hand gedrückt bekam, um die Kühe zu melken. Das wichtige Fräulein Verkäuferin kehrte sehr bald nach Tallinn zurück, und die ganze Stadt amüsierte sich auf seine Kosten. Das hatte es davon!
    Persönlich hat Katariina sich nur mit Ella unterhalten. Ella ist die Freundin des offiziellen Zimmergenossen von Katariinas Finnen. Der Zimmergenosse wohnt in Wirklichkeit bei Ella, obwohl er in Finnland Frau und vier Kinder hat. Ella kann Finnisch, arbeitet bei Intourist und kommt darüber an Urlaubsreisen. Eine so gute Stelle setzt natürlich voraus, dass Ella … na, zu diesen Leuten, zu den Spitzeln, gehört. Auf einer Finnlandreise hatte der Mann Ella zu sich nach Hause mitgenommen und seiner Frau die Freundin aus Estland vorgestellt. Ella fand nichts Außergewöhnliches daran, dass sie

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