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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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nein, so kann man das nicht sagen, für einen Mann wird dieses Wort nicht benutzt, nein, auch nicht für einen Stuhl. Am meisten lachte ich, wenn die Jungs, nachdem sie einen Ausdruck begriffen hatten, damit Köchinnen und Lehrerinnen beschimpften, die dann ganz verlegen wurden – dabei waren sie keine käuflichen Frauen.
    Jenseits der Grenze handelte es sich um einen Beruf unter anderen, aber in Finnland war Hurerei etwas Abstrakteres, etwas, das nicht mit Bezahlung verbunden war, keine Arbeit, sondern eine Eigenschaft der Person oder des Charakters bei Frauen. Etwas, was die Frauen dazu brachte, zu erröten und sich zu schämen, und keineswegs, so stolz und triumphierend einherzuschreiten, wie es die Prostituierten jenseits der Grenze in ihrer ausländischen Kleidung und in einem Mantel taten, für den viele Menschen einen Jahreslohn hätten hinblättern müssen. Gleichwohl konnte man von ihnen nicht sagen, dass sie eine wirklich geachtete Gruppe waren. Die Zeichen, die sie an sich trugen, weckten Neid und Respekt und machten sie in gewisser Weise zu … Unberührbaren. Die Kleider waren ihr Harnisch, der sie unter Mutters Blick brandmarkte. Für Mutter war es sehr wichtig, dass ich eine Professionelle von anderen Frauen unterschied. Dass die da zu denen gehören. Die und die. Die da. Mutter, die Hurenexpertin, deutet mit sicherer Richterstimme und vielsagendem Gesichtsausdruck auf dieFrauen des Gewerbes, und Anna hat immer einen Logenplatz, wenn sie mit dem Zug nach Moskau klappert, zu Vati, der Zug duftet nach Russland, und im Abteil wird Tee in Tsaikka-Gläsern serviert. Oder nach Leningrad oder mit dem Schiff nach Tallinn, wegen der Arbeit von Mutter oder Vati oder wegen der Verwandten oder einfach so, und dort gehen Mutter und Anna von einem Restaurant ins andere, sitzen täglich mit »jenen« Frauen in denselben Restaurants. Mutter sagt, in Finnland müsse sie genug Kartoffeln kochen, hier möchte sie eine auf weißem Tischtuch servierte Mahlzeit und als Dessert fünfzig oder hundert Gramm Kognak. Was sonst sollte man mit dem Geld anfangen, das Anna und der Mutter zur Verfügung steht? Die schwarz beschafften Rubel kann man ja nicht in Finnmark zurücktauschen. Außerdem gibt es dort, wo Huren sind, den besten Service, das beste Essen, alles vom Feinsten. Wo man nur Einheimische und Schlangen findet, ist all das, was ans andere Ende der Skala gehört.
    Und so betrachtet Anna vom Ende des weißen Tischtuchs im Restaurant des Hotels Viru, umschwebt von leichtem Rauch, vorüberstolzierende Netzstrumpfbeine, Spitzenstrumpfbeine, Strumpfhosenbeine, nackte Beine, hochhackige Schuhe, gewaltige Frisuren, kleine Taschen, Finger, die ausländische Zigaretten, oft More, halten, und rot lackierte Nägel, rote Lippen, von denen russische Rede strömt, Rüschen an Blusen, breite Gürtel und schmale Taillen. Anna lauscht lockendem Lachen, einem Lachen, das Vergnügliches verspricht, dem Lachen der Frauen, die in der Bar des Hotels Viru patrouillieren, wobei sie ihr Haar schwingen lassen, beobachtet freche Blicke, vielversprechende Blicke, alle möglichen Blicke, alles Mögliche, was nach dem Geschmack der Männer ist. Auch der vor Eifer rote Mann da spricht, nachdem er seine Familie im Hotelzimmer untergebracht hat, eine Tatjana an, die ihre Beine so übereinanderschlägt, dass der auf die Schuhsohlegeschriebene Preis für ihn sichtbar wird. Dem vor Eifer roten Mann sind Tatjanas Preise offenbar recht, denn das Paar verschwindet im Dunkel des Hotels Viru, aber nur so lange, dass er sich eine hat gönnen und Geld wechseln können. Weil dieser Service hier so langsam ist. Auch seine im Zimmer wartende Frau kennt den sowjetischen Service, und wenn man noch so sehr in einem Hotel von Intourist ist und die Kunden ausschließlich devisenbringende Ausländer sind … Im Café, in der Valutabar, in der normalen Bar, in der Grillbar, im Jagdsaal und im Restaurant des Hotels Viru ist es überall gleich interessant. Bei einer Portion Eis beobachtet Anna, wie lange die besonders zerknitterten Frauen sitzen und warten müssen. Die Fleischverkäuferinnen können sogar sehr zerknittert sein. Oder ist es nur das an die Farblosigkeit der finnischen Frauen gewöhnte Auge, das die Gesichtsfarben der Professionellen als grell empfindet und meint, dass die struppigen, an den Wurzeln schwarzen und fettigen, ansonsten blondierten Haare den Eindruck von Zerknittertheit hervorrufen? Anna baumelt auf dem viel zu hohen Barhocker mit den Beinen.

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