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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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poltert und von den anderen ausgeraubt wird. Er hat nicht die Kraft zu hoffen. Der Faschist!
    Jemand hatte ihm erzählt, dass Mäuse und Ratten ebenso nach Fleisch schmecken wie andere Tiere, wenn man sie für einige Zeit in der Erde vergräbt, aber wo soll man sie hier verstecken, damit niemand sonst sie findet?
    Osvalds Brust ist blutig von den Läusen. Wunden heilen nicht, denn das Blut ist so dünnflüssig.
    Warum sollte er nicht die verbotene Grenze überschreiten und von der Lagerwache eine Kugel in den Rücken bekommen?

    Der Schädel des Arztes, der sich geweigert hat, mit den Kriminellen zusammenzuarbeiten, wird mit einer Axt gespalten.
    Es wird befürchtet, dass die politischen Gefangenen sich organisieren, und so werden sie in zeitlichen Abständen, die für notwendig erachtet werden, von einem Lager ins andere verlegt. Nach den Platin- und Nickelgruben kommt Osvald in die Etappe und wird nach Kirow geschickt. Dort empfangen ihn die vertrauten Schreie: Pfuuuuii … ein Faschist!

EINEN
BRIEF
SCHICKT Großmutter per Post an Juuli, und Juuli schickt ihn an Mutter.
    Einen anderen gibt Mutter Olja mit.
    Einen dritten soll Linda besorgen, indem sie ihn in den Briefkasten steckt.
    Lindas Tochter Maria bittet sie, den vierten so aufzugeben, dass Linda nichts davon erfährt.
    Den fünften adressiert sie mit Annas Namen.
    Zwei davon kommen an, der eine nach zehn, der andere nach vierzehn Tagen.
    In jedem Brief steht das Datum des Schreibens und das des Tages, an dem Großmutter den Brief zur Post geschickt hat. Auf jedem Brief, den die Großmutter von Mutter erhält, vermerkt sie den Tag, an dem sie den Brief bekommen hat, und dasselbe tut Mutter mit Großmutters Briefen. Dann schreiben sie einander, welche Briefe sie bekommen haben und wann.
    Nach ihrer Erkrankung muss Großmutter im Winter zur Tante in die Stadt ziehen. Im Haus der Tante hängen die Briefkästen der Wohnungen in einer Reihe neben der Haustür, und einen Schlüssel für den Briefkasten der Familie hat nur die Tante selbst. Nur die Tante holt die Post aus dem Briefkasten, nur die Tante weiß, was dort ankommt und wann.
    Und wenn Mutter einen Brief an den Briefkasten der Tante adressiert, in dem sie ein neues Arrangement für die Briefe vorschlägt oder die medizinischen Ratschläge der Tante in Bezug auf die Gesundheit der Großmutter in Zweifel zieht oder etwas anderes, für die Tante weniger Schmeichelhaftes schreibt, und wenn sie die Adresse mit ihrer eigenen Handschrift auf den Umschlag geschrieben hat, kommt der Brief bei Großmutter überhaupt nicht an.
    Mutter steckt in ihre Briefe Zettel, auf denen steht: »Du sollst die Briefe an Mutter nicht lesen.«
    Großmutter verbietet der Mutter, solche Zettel zu schreiben.
    Linda ist nach dem letzten Brief sehr schroff gewesen.
    Großmutter verbietet der Mutter auch, irgendetwas über Lindas Kinder zu schreiben, weder Gutes noch Schlechtes, denn egal, was sie schreibt, Linda nimmt es übel. Und ist nach dem Eintreffen des Briefes wieder eine Woche lang böse und bringt Großmutters Briefe nicht zur Post, obwohl sie sagt, sie tue es. Und schickt Großmutters Pakete nicht an die Mutter, sondern gibt sie ihren Kindern.
    Soll sie also Mutters und Großmutters Briefe lesen. Es wäre doch verdächtig, wenn überhaupt kein Brief mehr in den Briefkasten der Tante käme. Also muss Mutter auf jeden Fall einen Teil der Briefe so schicken. Nur muss sie darin ihre Worte vorsichtig wählen. Nichts über die Kinder sagen. Und nichts Böses über Linda. Na, und vielleicht ist es nicht ratsam, von allen Weihnachtsgeschenken zu erzählen, die Anna bekommt, und von allen Speisen, die auf dem Weihnachtstisch stehen. Diesen Brief hat die Großmutter im vorigen Jahr nicht bekommen.
    Aber auch von den anderen Briefen, die über andere Leute und an andere Briefkästen geschickt und dann weitergeschickt wurden, kommen nicht alle an. Nur ein Teil. Und nicht alle sind ungeöffnet. Nur ein Teil. Die eingeschriebenen Briefe kommen an. Meistens – und sind mit Dampf geöffnet worden.

    Auf dem Land weiß das ganze Dorf die Dinge, die Mutter der Großmutter geschrieben hat, bevor die Großmutter den Brief zum Lesen bekommt.
    Aber das ist ganz normal.
    Merk dir, Anna, so etwas geschieht, überall.
    Mutter muss die Briefträger bestechen, damit sie die Briefe, die Mutter an die Tante adressiert hat, der Großmutter direkt in die Hand geben. Diese Briefe tragen auf der Rückseite ein vereinbartes Zeichen. Wenn dieses Zeichen

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