S.T.A.L.K.E.R. 04 - Zone der Verdammten
sofort traf mich der irre Blick des Mutanten.
Ich sah nur ein Auge von ihm, aber auch in diesem einen spiegelte sich so viel Leid und Irrsinn wider, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Ich war mir nicht sicher, ob der Blutsauger sich an mir rächen wollte, noch bevor er von hier flüchten konnte. Allerdings war mir völlig klar, was passieren würde, wenn er vor mir freikam.
Er atmete heiser aus und hob den Bagger noch ein bisschen weiter an. Etwas kratzte an der Schaufel, fiel schwer von ihr herab, und der Spalt wurde doppelt so groß.
Ich durfte nicht länger warten: Der Mutant konnte den schweren Bagger, der momentan noch auf seinen Schultern lastete, jederzeit loslassen. Schnell schob ich meinen Kopf in den Schlitz und schürfte mir dabei mein rechtes Ohr blutig. Aus einem schmalen Kasten herauszukommen, wo man in Embryonalhaltung ausgeharrt hatte, entpuppte sich als eine Herausforderung, die selbst Houdini würdig gewesen wäre.
Ich verdrehte meinen Körper komplett und drückte meinen Kopf irgendwie nach draußen. Dabei ging ich davon aus, dass die Schaufel jeden Moment runter klappen und zu meiner persönlichen Guillotine werden konnte. Dazu kam die Befürchtung, dass ich der Länge nach gespalten werden würde.
Nach langem Hin und Her schaffte ich es, halb herauszukriechen.
Der Blutsauger stemmte sich rhythmisch mit dem Rücken gegen den Bagger und versuchte ihn zum Umkippen zu bringen. Er sah wütend zu, wie ich mich nach und nach wie ein Wurm aus meiner Schaufel herausgrub. Ich fürchtete, dass er die Metallmasse von seinen Schultern auf mich fallen lassen würde, um mich umzubringen. Das hätte aber bedeutet, dass er die ganze Arbeit von vorne beginnen musste — und für ein zweites Mal hatte er nicht genug Kraft. Verglichen mit dem Blinden Hund war der Blutsauger ein richtiges Genie; er konnte seine Handlungen mindestens einen Schritt vorausplanen.
Ich fiel aus der Schaufel direkt vor die Füße des Blutsaugers. Seine hornigen, mit hässlichen Krallen überwucherten Füße versanken tief im Lehmboden. Endlich frei, kroch ich schnell zur Schneise zwischen den Metallbergen und betete zum Dunklen Stalker, der Mutant möge noch einige Augenblicke durchhalten. Ich vergaß auch nicht das Messer in der ganzen Hektik, sondern steckte es in die dafür vorgesehene Schlaufe.
Ich kroch unter dem gestürzten Bagger hervor, keuchte schwer und hatte nicht die Kraft, mich aufzurichten. Um mich herum herrschte unendliche Weite; ich konnte gehen, wohin ich wollte. Der Blutsauger steckte wohl endgültig unter dem Bagger fest, was ich aus seinem Gekreische schloss. Nun, ich war schon in schlimmeren Situationen gewesen.
„Hast du dir wehgetan?", hörte ich eine vor Sarkasmus triefende Stimme.
Ich hob den Kopf. Vor mir stand Sauerkopp mit einer Automatik in der Hand, die genau zwischen meine Augen zielte. Meine eigene Waffe hing nachlässig über seiner Schulter.
Bei unseren amerikanischen „Freunden" hieß es, man solle Probleme der Reihe nach lösen. Allerdings sah es jetzt wirklich übel aus.
Optimist. So viel Glück hat ein Stalker selten. Jedenfalls, wenn dieser Stalker nicht Hemul ist.
„Nein, nein, alles in Ordnung", sagte ich und stand vorsichtig auf.
„Dann Hände hinter den Kopf, umdrehen und vier Schritte nach vorne", blökte Sauerkopp und verzog vor Schmerz das Gesicht. Ich stellte genüsslich fest, dass seine Nase gebrochen war und an der Nasenwurzel getrocknetes Blut klebte. Mein Verdienst.
„Vielleicht leckst du mich lieber am Arsch?", erkundigte ich mich gelassen.
Wenn man von einem unerfahrenen Feind ins Visier genommen wurde, konnte man versuchen, diesen aus der Fassung zu bringen. Ein Mensch, der sich in Rage befand, fing an, unnötige Fehler zu begehen, und so glichen sich die Chancen aus. Auf mich schießen würde Sauerkopp erst, wenn er sich für die gebrochene Nase revanchiert hatte. Die Rache solcher Typen bestand nicht darin, den Gegner zu töten — das war zweitrangig. Stattdessen wollten sie dem Opfer suggerieren,dass es sterben würde, kein Entkommen mehr gab. Und das Wichtigste war, sich an der Angst zu weiden.
Egal, ich kann auch völlig danebenliegen mit meiner psychologischen Analyse. Vielleicht knallt mich Sauerkopp auch einfach über den Haufen, so wie man einen Blinden Hund erschießt. Soll er mir doch den Buckel runterrutschen mit seinem „... Hände nach oben, umdrehen, vier Schritte nach vorne ... "-Gequatsche. Der kann mich mal!
Sauerkopp lief purpurrot
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