S.T.A.L.K.E.R. 04 - Zone der Verdammten
erfahrenen Alten eingeführt wurden.
Es war schon ziemlich spät, das Frischfleisch hing hier meistens nur bis Sonnenuntergang herum. Ich hingegen ging am frühen Morgen zu Dinka und ließ mich in der Badewanne so richtig aufweichen. Danach legte ich mich schlafen und war erst gegen Abend wach, als meine Freundin sich für die Arbeit fertig machte. Ich nahm mein Zigarettenetui mit und begleitete sie. Vor dem Bareingang trennten wir uns — sie ging in die Umkleidekabine und ich in den Saal fürs Publikum.
Von einem entfernten Tisch aus blitzte Flieges Brille auf, er hob die Hand zum Gruß. Ich nickte ihm zu. Gleich am Eingang okkupierten Gurwinok, Sjip, Mawpa, He-He und Piwkabe einige Tische. Ich schüttelte ihre Hände, ging um ihre Tische herum, stieß Gwinpin freundschaftlich mit der Faust gegen die Schulter, klopfte Mönch auf den Rücken, der sich sehr angeregt mit Biber unterhielt und mit seiner Zigarette gefährlich nah vor dessen Augen herumwedelte, zwinkerte der nur mit einem Slip bekleideten und um das Podium springenden frisch zu, klatschte mit Kirill ab, umarmte Patogenitsch und setzte mich gegenüber dem Barkeeper an den Tresen.
Joe sah mich fragend an.
„Gieß mir vier Finger breit Wodka ein!", orderte ich und stellte mir vor, wie Joe aus der Flasche einschenkte und dabei den verlangten Flüssigkeitsspiegel genauesten einhielt. Eine Vorstellung, die Vorfreude weckte. „Also, gib mir Wodka und zwar so viel." Ich markierte mit meinem Fingernagel die Stelle, bis zu der Wodka eingeschenkt werden sollte. „Guten, aromatischen, schmackhaften und nahrhaften Wodka. Und so viel wie möglich, Doktor, so viel wie möglich."
„So viel wie möglich — oder bis hierhin?", fragte der Barkeeper phlegmatisch.
„Bis hierhin, aber so viel wie möglich", erklärte ich dem Begriffsstutzigen geduldig.
Joe nickte mit solch ernster Miene, dass jeder, der ihn nicht kannte, bereit gewesen wäre, zu bezeugen, dass dieser Mensch gleich versuchen würde, bis zur gezeigten Markierung mindestens vier Flaschen vom „Dunklen Stalker" unterzubringen.
Eigentlich stammte Joe vom Baltikum und hieß Ajwar. Er war groß und vollkommen kahlköpfig, und sein roter Bart war nach dem aktuellsten europäischen Trend zu langen Afrozöpfen geflochten.Zum ersten Mal fiel mir auf, wie sehr er dem Blutsauger ähnelte. Was nicht einmal so abwegig war — diese „Blutsverwandtschaft" —, denn von Joe konnte man einiges erwarten.
„Ist Bubna da?", fragte ich und zog das Glas mit der durchsichtigen Flüssigkeit, die vom Barkeeper sorgfältig abgemessen worden war, zu mir heran.
„Jep", nuschelte Joe. „Döst über seinem Schatz."
„Na, dann ist jetzt Aufstehen."
Ich hob das Glas und prostete Patogenitsch respektvoll zu, der neben mir saß. Er reagierte, indem er sein Glas nun ebenfalls hob und den Inhalt mit wenigen großen Schlucken austrank.
Mir stiegen die Tränen in die Augen. Die Flüssigkeit schlug sich irgendwo in der Nähe des Solarplexus nieder und begann sich schnell zu verteilen. Ich hätte wohl meinem Magen etwas Essbares gönnen sollen — ich hatte seit gestern nichts Festes mehr zu mir genommen. Dinka hatte versucht, mich früh morgens zum Essen zu überreden, aber die Nahrungsaufnahme löste in den ersten vierundzwanzig Stunden nach der Zone bei mir immer Übelkeit aus.
Der Alkohol kam so schnell in meinem Kopf und in den Beinen an, dass ich mich fragte, ob ich nicht etwas zu zügig losgelegt hatte. Aber allmählich pegelte sich mein Organismus auf den Stoff ein, den ich ihm zuführte — und ich begann angenehm zu versinken. An Essen verschwendete ich nicht mehr den geringsten Gedanken.
Der Dunkle Stalker sah alles. Wir tranken nicht einfach bloß, wir therapierten uns.
„Joe!”, sagte ich vertrauensvoll und ließ dem Wodka die aromatische Zitronenscheibe folgen. „Ich brauche Bubna."
„Klare Sache", nickte der Barkeeper. „Alle, die hierherkommen, brauchen Bubna."
„Wirklich alle?", fragte ich ungläubig.
„Neun von zehn."
„Aha!" Ich spuckte demonstrativ den Zitronenkern auf den Boden. „Sehr gut, ein viel beschäftigter Mann also. Respekt. Wir, das verstrahlte Fleisch, machen nur dummes Zeug, aber Bubna macht wichtige Sachen.Gib mir noch einen von dem Klaren."
Ich bekam meine zweite Dosis und drehte mich auf dem hohen Barhocker um. Ich beobachtete interessiert, was auf dem Striptease-Podest vor sich ging. Zu diesem Zeitpunkt hatte Irisch nichts mehr an. Und das war einen Blick wert. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher