Starbuck. Der Verräter (German Edition)
wird.» Sie blies Staub von einem Buch, las den Titel und warf es in eine der offenen Kisten. Mit einem Mal wurde das Gaslicht schwächer, dann leuchtete es wieder hell. Julia verzog das Gesicht. «Das passiert ständig. Ist das ein Zeichen für den Untergang der Zivilisation? Habe ich Sie zu Polly sagen hören, dass Sie mit Adam sprechen wollen?»
«Ja. Sogar recht dringend.»
«Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. General Johnston hat seine Anwesenheit erbeten, und Adam ist geradezu geflogen, um den Befehl auszuführen. Aber wo General Johnston ist, kann ich Ihnen nicht sagen, obwohl ich annehme, dass Sie ihn finden müssten, wenn Sie dem Geräusch der Kanonen nachgehen. Soll ich ihm etwas ausrichten? Ich bin sicher, dass er bald wieder in der Stadt ist, und wenn nicht, kann ich ihm immer noch einen Brief schreiben.»
Starbuck dachte kurz nach. Er konnte nicht einfach zur Armee gehen und Adam suchen. Sein Passierschein erlaubte ihm nur, sich aus der Stadt zu entfernen, und die Militärpolizei würde ihm niemals gestatten, in den hinteren Linien der Armee nach einem Kommando-Adjutanten zu suchen. Er hatte vorgehabt, hier im Haus eine Nachricht für Adam zu hinterlassen, doch nun beschloss er, dass sie ebenso gut von Julia weitergegeben werden konnte. «Aber nicht schriftlich», bat er sie.
«Nein?» Julia wurde neugierig.
Briefe konnten, wie Starbuck wusste, geöffnet und gelesen werden, und diese Mitteilung, mit ihren Andeutungen über verräterische Korrespondenz, durften keinem Mann wie Gillespie in die Hände fallen. «Könnten Sie», bat er Julia, «Adam bei Ihrem nächsten Treffen ausrichten, dass er gut beraten wäre, die Korrespondenz mit meiner Familie zu unterbrechen?» Er hätte beinahe gesagt, ‹mit meinem Bruder›, doch dann hielt er es für besser, nicht zu eindeutig zu werden. «Und falls er diesen Rat unverständlich findet, werde ich es erklären, sobald ich kann.»
Julia sah Starbuck ein paar Sekunden sehr ernst an. «Ich finde sie unverständlich», sagte sie nach einem Moment.
«Ich fürchte, so muss es bleiben.»
Julia nahm ein Buch in die Hand und betrachtete den Buchrücken. «Adam sagte, Sie waren im Gefängnis.»
«Ich wurde heute entlassen.»
«Als unschuldiger Mann?»
«So unschuldig wie ein Neugeborenes.»
«Wirklich?» Julia lachte, sie konnte offenbar nie lange ernst bleiben. «In der Zeitung hat gestanden, Sie hätten sich bestechen lassen.»
«Das habe ich auch. Jeder nimmt Bestechungsgeld.»
Julia legte das Buch weg und sah Starbuck nachdenklich an. «Sie sind geradeheraus, was Ihre Unehrlichkeit angeht. Aber nicht, was Ihre Freundschaften angeht. Adam erklärt uns, wir sollen nicht mit Ihnen oder Ihrer Freundin sprechen, und Sie sagen, er soll nicht mit Ihrer Familie sprechen. Sollen wir etwa alle ein Schweigegelübde ablegen? Nun, ich werde dennoch mit Ihrer Freundin Miss Royall sprechen. Um welche Uhrzeit wird es ihr wohl am besten passen?»
«Am späten Vormittag, denke ich.»
«Und mit welchem Namen wird sie am liebsten angesprochen?»
«Ich glaube, das fragen Sie besser Miss Royall selbst, allerdings ist ihr echter Name Sally Truslow.»
«Truslow. Mit einem W?» Julia schrieb sich den Namen auf, dann die Adresse in der Franklin Street. Sie warf einen erneuten Blick auf die Uhr. «Ich muss Sie verabschieden, bevor mein Vater kommt und sich Sorgen macht, dass ich meinen Ruf durch den Kontakt mit den Niederungen geschädigt habe. Aber vielleicht haben wir trotzdem eines Tages das Vergnügen, uns wiederzusehen.»
«Das würde mich sehr freuen, Miss Gordon.»
In der Halle zog Starbuck seinen Mantel an. «Haben Sie sich die Mitteilung gemerkt, Miss Gordon?», fragte er.
«Adam soll nicht mit Ihrer Familie korrespondieren.»
«Und bitte sprechen Sie mit niemandem sonst darüber. Nur mit Adam. Und schreiben Sie es ihm nicht in einem Brief, bitte.»
«Man musste mir schon als kleinem Mädchen nicht mehr alles zweimal sagen, Mr. Starbuck.»
Starbuck lächelte über den Tadel. «Verzeihen Sie, Miss Gordon. Ich bin eben den Umgang mit Männern gewohnt, nicht mit Frauen.» Mit diesen Worten verabschiedete er sich von einer lächelnden Julia, und er musste selbst lächeln, als er in den Regen hinausging. Ihr Gesicht stand so klar vor ihm, dass er beinahe in ein Fuhrwerk hineingelaufen wäre, auf dem eine weitere Flüchtlingsfamilie ihr Mobiliar Richtung Osten brachte. Der schwarze Kutscher schrie ärgerlich auf, dann ließ er die Peitsche über den Köpfen der
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