Starbuck. Der Verräter (German Edition)
anzugreifen.
Die neuen Angreifer marschierten an der Old Tavern vorbei, und Johnston, der unbedingt wissen wollte, was auf dem Schlachtfeld vor sich ging, schloss sich den vorrückenden Truppen an. Während des Ritts fragte er sich, warum in dieser Armee alles so unnötig kompliziert war. Bei Manassas war es dasselbe gewesen, überlegte er. Bei der Schlacht von Manassas hatte das Oberkommando der Rebellen ohne Informationen auf der rechten Flanke abgewartet, während sich auf der linken Flanke eine Schlacht entwickelt hatte. Er hingegen hatte nun auf der linken Flanke gewartet, während auf der rechten eine führungslose Schlacht aufgeflammt war. Doch noch konnte er dieses Chaos in einen Sieg verwandeln, falls die Yankees nicht zu viel Verstärkung über den Chickahominy gebracht hatten.
Als Präsident Davis bei der Old Tavern eintraf, erfuhr er, dass General Johnston nach Osten abgerückt war. Johnstons Stellvertreter, Gustavus Smith, der vor dem Krieg New Yorks Straßenbaubeauftragter gewesen war, räumte ein, über die Ereignisse des Tages nicht genau Bescheid zu wissen, erklärte aber vollmundig, alles verlaufe ausgezeichnet, soweit er es verstanden habe, auch wenn er zugeben müsse, dass dieses Verständnis recht begrenzt war. General Lee, der den Präsidenten begleitete, war solch eine Erklärung von einem Offizierskollegen derartig peinlich, dass er unbehaglich auf seinem Sattel herumrutschte. Der Wirt der Old Tavern brachte dem Präsidenten ein Glas Limonade, das Davis im Sattel austrank. In der Ferne sah Davis die beiden gelben Ballons der gegnerischen Luftaufklärung im böigen Wind schwanken. «Können wir denn nichts gegen diese Ballons unternehmen?», fragte Davis gereizt.
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann wies Lee ruhig darauf hin, dass der Elevationswinkel der Kanonen für einen Beschuss nicht genügte und dass man mit leistungsstarken Scharfschützengewehren noch die besten Chancen hätte, es den Ballonfahrern ungemütlich zu machen. «Aber ich bezweifle trotzdem, Mr. President, dass diese Gewehre die notwendige Reichweite haben.»
«Irgendetwas muss unternommen werden», sagte Davis ärgerlich.
«Adler?», schlug General Smith strahlend vor. Sowohl Lee als auch Davis sahen ihn fragend an, und Smith krümmte die Finger, um die Wirkung von Adlerklauen zu demonstrieren. «Abgerichtete Adler, Mr. President, könnten doch dazu gebracht werden, die Ballonhüllen zu zerfetzen, nicht wahr?»
«Ganz recht», sagte Davis überrascht. «Ganz recht.» Er warf seinem Militärberater einen Seitenblick zu, aber Lee starrte in eine Pfütze, als sei die Lösung für die Probleme der Konföderation in ihrem trüben Wasser zu finden.
Während auf den Feldern die Kanonen weiterschossen.
«Weiter! Weiter! Weiter! Weiter! Weiter!» Micah Jenkins schien nur zu wissen, wie er seine Männer vorwärtstreiben konnte. Er achtete nicht auf seine eigenen Verluste, ließ die Toten und Verletzten auf dem Feld hinter sich liegen und spornte seine Männer immer weiter an vorzurücken. Sie waren jetzt tief ins Yankee-Gebiet vorgestoßen, ohne jegliche Unterstützung von anderen Südstaateneinheiten, doch das kümmerte den jungen Mann aus South Carolina nicht. «Weiter! Weiter!», rief er. «Jetzt nicht stehen bleiben! Schickt die Bastarde zur Hölle. Trommler! Ich will euch hören! Weitermarschieren!» Eine Kugel pfiff um einen Zoll an Jenkins’ Wange vorbei, ihre Druckwelle fühlte sich an wie ein milder, warmer Schlag. Jenkins sah eine Rauchwolke von der Krone einer Kiefer wegtreiben und galoppierte zu einer seiner Infanteriekompanien vor. «Habt ihr den Rauch gesehen? Da, in der Kiefer! Links neben dem Weißdorn. Da sitzt ein Scharfschütze im Baum. Ich will, dass ihr seine Frau augenblicklich zur Witwe macht!»
Ein Dutzend Männer kniete nieder, zielte und feuerte. Der Baum schien zu erbeben, dann sackte ein Körper aus der Krone, gehalten von dem Seil, mit dem sich der Scharfschütze an den Baum gebunden hatte. «Gut gemacht!», rief Jenkins, «gut gemacht! Weitermarschieren!»
Starbuck hatte sich von einem Toten des Regiments aus South Carolina ein Palmetto-Gewehr, einen Tornister mit Patronen und einen grauen Uniformrock genommen. Der Uniformrock hatte ein kleines Einschussloch auf der linken Brustseite und einen großen, blutigen Riss auf dem Rücken, aber es war immer noch eine bessere Uniform als sein schmutziges Hemd. Jetzt kämpfte er wie ein berittener Infanterist, lud und schoss vom
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