Starbuck. Der Verräter (German Edition)
die alle seine eigenen waren, in bestem Zustand und sauber, sogar beinahe unnatürlich weiß. Starbuck hatte Delaney im Jahr zuvor kennengelernt, als er in Richmond gestrandet war, und die beiden hatten eine Art zurückhaltender Freundschaft geschlossen. Es belustigte Delaney, Reverend Elials verlorenen Sohn in Richmond zu sehen, allerdings beruhte sein Gefallen an Starbuck auf mehr als reiner Schaulust, während Starbucks Zuneigung zu Delaney einesteils daher rührte, dass der Anwalt so hilfsbereit war, und anderenteils daher, dass Starbuck die Freundschaft von Männern wie Delaney und Bird brauchte, weil sie sein Verhalten nicht wie Starbucks Vater nach den Maßgaben eines unversöhnlichen Glaubens beurteilten. Männer wie sie, dachte Starbuck, hatten eine geistige Entwicklung durchgemacht, die er ebenfalls anstrebte, obwohl er sich in Delaneys Gesellschaft manchmal fragte, ob er selbst denn auch klug genug war, um sich von seinen Schuldgefühlen befreien zu können. Starbuck wusste, dass Delaney trotz seines Auftretens, bei dem er sorgfältig den Anschein harmloser Umgänglichkeit pflegte, sowohl gerissen als auch skrupellos war; Eigenschaften, die der Anwalt gegenwärtig nutzte, um ein Vermögen beim Verkauf dessen anzuhäufen, was Delaney gern als die beiden Grundbedürfnisse von Kriegern bezeichnete: Frauen und Waffen. Nun nahm der Anwalt seine Brille ab und putzte die Gläser mit seiner Serviette. «Die Leute sagen, Kugeln würden pfeifen, stimmt das?»
«Ja.»
«In welcher Tonart?»
«Darauf habe ich nie geachtet.»
«Vielleicht klingen unterschiedliche Kugeln ja wie unterschiedliche Noten? Ein begabter Scharfschütze wäre womöglich imstande, eine Melodie zu spielen», spekulierte Delaney und sang dann gut gelaunt den Anfang eines Liedes, das in Richmond den ganzen Winter über sehr beliebt gewesen war. «‹Auf was wartest du denn, langsamer George?› – jetzt wartet McClellan allerdings nicht mehr, oder? Glauben Sie, dass der Krieg auf der Halbinsel entschieden wird?»
«Wenn es so ist», sagte Starbuck, «will ich dort sein.»
«Sie sind ja absurd blutdürstig, Nate.» Delaney zog ein Gesicht, dann hielt er Starbuck auf der Gabel ein grauenhaftes Stück Knorpel zur Inspektion entgegen. «Ist das etwa Essen, was meinen Sie? Oder etwas, das in der Küche gestorben ist? Aber ganz gleich, ich werde lieber zu Hause speisen.» Er schob seinen Teller weg. Sie aßen im Spotswood House Hotel zu Mittag, und als er selbst mit dem Essen fertig war, zog Starbuck einen Stapel Blanko-Passierscheine aus der Tasche und legte sie für Delaney auf den Tisch. «Gut gemacht», sagte Delaney und steckte die Passierscheine ein. «Ich schulde Ihnen vierhundert Dollar.»
«Wie viel?» Starbuck war schockiert.
«Passierscheine sind wertvoll, mein guter Starbuck!», sagte der kleine, verschlagene Anwalt hingerissen. «Die Spione aus dem Norden zahlen ein Vermögen für diese Zettel.» Delaney lachte, um klarzumachen, dass er einen Scherz gemacht hatte. «Und es ist nur recht und billig, dass Sie einen Anteil an meinen illegalen Profiten erhalten. Glauben Sie mir, ich verkaufe diese Scheine für sehr viel Geld. Ich gehe davon aus, dass Sie lieber in Nordstaaten-Währung bezahlt werden.»
«Das ist mir gleich.»
«Es ist Ihnen nicht gleich, das dürfen Sie mir wirklich glauben. Ein Dollar aus dem Norden entspricht mindestens drei Südstaatendollars.» Delaney störte sich nicht an den Blicken der anderen Gäste und zählte ein Bündel der neuen Dollarscheine auf den Tisch, die einen Großteil der Münzen im Norden ersetzten. Das Geld im Süden sollte den gleichen Wert haben, aber das gesamte Wert- und Preisgefüge schien verrücktzuspielen. Ein Pfund Butter kostete in Richmond fünfzig Cent, Feuerholz acht Dollar das Klafter, Kaffee war zu keinem Preis erhältlich, während sogar Baumwolle, die angebliche Grundlage des Wohlstands im Süden, doppelt so teuer geworden war. Ein Zimmer, das vor einem Jahr noch nicht für fünfzig Cent die Woche hätte vermietet werden können, brachte nun zehn Dollar wöchentlich ein.
Das brauchte Starbuck jedoch nicht zu kümmern. Er hatte ein Zimmer im Stallgebäude jenes großen Hauses in der Franklin Street, in dem Sally Truslow und ihre beiden Mitstreiterinnen jetzt mit ihren Dienern, Köchen und Schneiderinnen wohnten. Das Haus war eine der nobelsten Adressen der Stadt und hatte einem Tabakhändler gehört, dessen Geschäfte schwer unter der Blockade der Nordstaaten gelitten hatten.
Weitere Kostenlose Bücher