Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Der Mann hatte verkaufen müssen, und Belvedere Delaney hatte das Haus in Richmonds exklusivstes und teuerstes Freudenhaus verwandelt. Die Möbel, die Bilder und der Zierrat waren, wenn nicht ohnehin von allerhöchster Qualität, zumindest gut genug, um einer Betrachtung im Kerzenlicht problemlos standzuhalten, während das Essen, der Alkohol und die Unterhaltung so aufwendig und erlesen waren, wie es die Mangelwirtschaft der Kriegszeit erlaubte. Abends gaben die Damen Empfänge, und tagsüber hielten sie sich für Besucher zur Verfügung, allerdings wurden nur solche Besucher an dem beschnitzten Treppenpfosten am Fuße der großen Treppe vorbeigelassen, die zuvor eine entsprechende Übereinkunft getroffen hatten. Geld wechselte den Besitzer, jedoch so diskret, dass der Pfarrer von St. James das Haus schon drei Mal besucht hatte, bevor er seinen Zweck entdeckte, wonach er niemals wiederkam. Drei seiner geistlichen Kollegen hingegen schreckte selbige Erkenntnis nicht ab. Delaneys Regel war es, keinen Offizier unter dem Rang eines Majors einzulassen und keinen Zivilisten, dessen Kleidung schlechten Geschmack verriet. Das Klientel war infolgedessen wohlhabend und im Allgemeinen recht gesittet, allerdings senkte die unumgängliche Zulassung von Kongressabgeordneten der Konföderation die Raffinesse des Etablissements weit unter Delaneys extravagante Hoffnungen.
Starbuck hatte ein kleines, klammes Zimmer im Stallgebäude, das am Ende eines feuchten und ungepflegten Gartens lag. Statt eine Miete zu zahlen, versorgte er Delaney mit Passierscheinen, während die Frauen seine Anwesenheit als wirksame Abschreckung für all die Verbrecher betrachteten, die Richmond im Griff hatten. Einbrüche waren so häufig geworden, dass sie kaum noch erwähnt wurden, und schamloser Straßenraub war an der Tagesordnung. Das machte Starbuck zu einem noch willkommeneren Gast im Haus, denn er war immer bereit, eine der Damen zu Ducquesne, dem Pariser Friseur in der Main Street, oder zu einem der Bekleidungsgeschäfte zu begleiten, die auf irgendeine Weise an genügend Stoff kamen, um weiter Luxusroben herstellen zu können.
Eines Vormittags las er, während er vor Ducquesne’s auf Sally wartete, die üblichen Forderungen des
Examiners
, die Konföderation solle ihre träge Haltung aufgeben und den Krieg mit einem Einmarsch in den Norden beenden. Es war ein sonniger Morgen, der erste seit fast drei Wochen, und ein Hauch Frühling verlieh der Stadt eine fröhliche Atmosphäre. Die beiden Veteranen von Bull Run, die Ducquesnes Salon bewachten, neckten Starbuck wegen seiner ramponierten Uniform. «Mit so einem Mädchen, Captain, sollten Sie nicht in Lumpen gehen», sagte einer der beiden.
«Wer braucht denn bei so einem Mädchen Kleidung?», fragte Starbuck.
Die Männer lachten. Einer hatte ein Bein verloren, der andere einen Arm. Jetzt hielten sie mit einer Schrotflinte vor einem Friseursalon Wache. «Steht irgendwas über den neuen Napoleon in der Zeitung?», fragte der Einarmige.
«Kein Wort, Jimmy.»
«Also ist er nicht in Fort Monroe?»
«Wenn er dort ist, hat der
Examiner
nichts davon gehört», sagte Starbuck.
Jimmy spuckte einen langen Strahl Tabaksaft in die Gosse. «Wenn er nicht dort ist, kommen sie nicht hierher, und wir wissen, dass sie herkommen, wenn er dort auftaucht.» Er klang bedrückt. Die Zeitungen Virginias mochten über McClellans Überheblichkeit spotten, aber es herrschte dennoch das Gefühl, dass der Norden sein militärisches Genie gefunden hatte und der Süden über niemand Vergleichbaren verfügte. Zu Beginn des Krieges hatte der Name Robert Lee in Virginia für Optimismus gesorgt, doch er hatte während der ersten Kämpfe in Westvirginia einiges von seinem vielversprechenden Ruf eingebüßt, und nun verbrachte er seine Zeit damit, endlose Gräben um Richmond auszuheben, was ihm schon den Spitznamen «König der Spaten» eingetragen hatte. Er hatte immer noch Unterstützer, vor allem Sally Truslow, die Lee für den größten General seit Alexander hielt, aber diese Ansicht gründete sich allein auf der Tatsache, dass der höfliche Lee auf der Straße einmal den Hut vor ihr gezogen hatte.
Starbuck gab Jimmy die Zeitung, dann warf er einen Blick auf eine Uhr in einem Schaufenster, um abzuschätzen, wie lange das Getue noch dauern würde, das Sally um ihr Haar machte. Er ging von wenigstens einer weiteren Viertelstunde aus, also schob er seinen Hut zurück, zündete sich eine Zigarre an und lehnte sich an einen
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