Starbuck. Der Verräter (German Edition)
gehängt», köderte ihn Alexander.
«Ich habe nichts zu sagen, Major, außer zu einem Priester», widerstand Scully tapfer.
An diesem Abend kam ein Priester in John Scullys neue Gefängniszelle. Der Priester war ein sehr alter Mann, dennoch besaß er volles, weißes Haar, das ihm bis weit über den Kragen seiner Soutane fiel. Sein Gesicht war stark gebräunt, als hätte er sein Leben in den tropischen Missionsgebieten verbracht. Es war ein asketisches, freundliches Gesicht, in dessen Ausdruck zudem ein Hinweis auf einen abstrakten Intellekt zu liegen schien, der nahelegte, dass er mit seinem Denken schon in einer höheren und besseren Welt angekommen war. Er setzte sich auf Scullys Bett und nahm ein altes, abgenutztes Skapulier aus seiner Hülle. Er küsste das bestickte Stoffstück und legte es sich um den mageren Hals, dann zeichnete er vor dem Gefangenen das Kreuzzeichen in die Luft. «Mein Name ist Pater Mulroney», stellte er sich vor, «und ich komme aus Galway. Mir wurde gesagt, du möchtest beichten, mein Sohn?»
Scully kniete sich vor den Priester. «Vergebt mir Pater, denn ich habe gesündigt.» Er bekreuzigte sich.
«Sprich weiter, mein Sohn.» Die Stimme Pater Mulroneys war tief und wohlklingend, die Stimme eines Mannes, der vor großen Versammlungen traurige Wahrheiten gepredigt hatte. «Sprich weiter», wiederholte Mulroney, und seine wundervolle Stimme war leise und beruhigend.
«Meine letzte Beichte muss zehn Jahre her sein», begann Scully, und dann brach der Damm, und er sprudelte die Liste all seiner Verfehlungen heraus. Pater Mulroney schloss die Augen, während er zuhörte, und dass er überhaupt wach war, sah man nur an der leichten Bewegung seines langen, knochigen Zeigefingers, mit dem er auf das aparte Elfenbeinkruzifix tippte, das an einer schlichten Eisenkette um seinen Hals hing. Er nickte auch ein- oder zweimal, während Scully seine jämmerlichen Sünden herunterleierte: die Huren, die er betrogen hatte, die Flüche, die er gesprochen hatte, der gestohlene Kleinkram, die Lügen, die Missachtung der religiösen Gebote. «Meine Mutter hat immer gesagt, mit mir nimmt es einmal ein schlimmes Ende, das hat sie immer gesagt.» Der kleine Ire schluchzte beinahe, als er mit seiner Liste am Ende war.
«Ruhig, mein Sohn, ruhig.» Die Stimme des Priesters war wie ein kühles Flüstern und doch sehr beruhigend. «Bereust du diese Sünden, mein Sohn?»
«Das tue ich, Pater, o Gott, das tue ich.» Scully weinte nun. Er hatte sich nach vorn gebeugt und den Kopf in die Hände gebettet, die ihrerseits auf den Knien des alten Mannes lagen. Pater Mulroneys Miene zeigte keine Reaktion auf Scullys Schrecken und Reue; stattdessen strich er dem Iren mit seinen langen Fingern leicht über den Kopf und starrte in die weiß gestrichene Zelle mit ihrer Laterne und dem trostlosen, vergitterten Fenster. Die Tränen rannen über Scullys Wangen hinab und verursachten einen feuchten Fleck auf Mulroneys ausgebleichter, fadenscheiniger Soutane. «Ich habe den Tod nicht verdient, Vater», sagte Scully.
«Warum hängen Sie dich dann, mein Sohn?», fragte Mulroney, und strich weiter über Scullys kurzes, schwarzes Haar. «Was hast du so Schlimmes getan?», fragte der Priester mit seiner traurigen, freundlichen Stimme, und da erzählte ihm Scully, wie Allan Pinkerton ihn und Lewis gebeten hatte, in den Süden zu fahren, um nach einem vermissten Geheimagenten zu suchen, dem besten Agenten des Nordens, und wie Pinkerton ihnen versichert hatte, dass sie als britische Untertanen vor jeder Anschuldigung durch die Rebellen sicher wären, und wie sie trotz dieser Versicherung vom Militärgericht zum Tod durch Erhängen verurteilt worden waren.
«Natürlich verdienst du den Tod nicht, mein Sohn», sagte Mulrony mit leiser Empörung, «denn alles, was du getan hast, war der Versuch, deinem Gefährten zu helfen. Ist das nicht die Wahrheit?» Noch immer beschwichtigten seine streichelnden Finger Scullys Ängste. «Und hast du deinen Mann überhaupt gefunden?» Pater Mulroneys irischer Akzent schien sich im Verlauf der Beichte verstärkt zu haben.
«Das haben wir, Pater, und er war aus dem Grund verschwunden, dass er krank ist. Hundeelend geht es ihm. Er hat das Gelenkfieber. Er sollte im Ballard House Hotel sein, nur ist er umgezogen, und wir haben einen Tag oder so gebraucht, um ihn ausfindig zu machen, jedenfalls ist der arme Mann jetzt im Monumental Hotel, und eine von Pinkertons Damen kümmert sich um ihn.»
Mulroney
Weitere Kostenlose Bücher