Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Yorktown.
Konfrontiert mit dem Brief, den man in seinen Rockaufschlag eingenäht gefunden hatte, schwor John Scully, dass er seine Kleidung bei einem Händler vor der Stadt gekauft und nicht die geringste Ahnung habe, was dieser Brief bedeuten solle. Er schenkte dem Major, der das Verhör leitete, ein Lächeln. «Es tut mir leid, Major, sehr leid. Ich würde Ihnen unbedingt helfen, wenn ich könnte.»
«Auf Ihre Hilfe kann ich verzichten, zum Teufel.» Major Alexander war ein großer, korpulenter Mann mit einem buschigen Backenbart und einem Gesichtsausdruck ständiger Empörung. «Wenn Sie nicht reden», drohte er Scully, «knüpfen wir Sie auf.»
«Das werden Sie nicht tun, Major», sagte Scully, «in Anbetracht dessen, dass ich ein Bürger Großbritanniens bin.»
«Zum Teufel mit Großbritannien.»
«Darin hingegen würde ich Ihnen normalerweise zustimmen, ganz sicher, doch im Augenblick, Major, haben Sie einen Iren vor sich, der Gott dem Allmächtigen auf Knien danken möchte, dass er ihn zum Briten gemacht hat.» Scully lächelte wie ein barocker Putto.
«Brite zu sein wird Ihnen auch nicht helfen. Sie werden hängen!», knurrte Alexander, doch Scully redete trotzdem nicht.
Am nächsten Tag kam die Nachricht, dass die Yankees schließlich doch aus ihrer Stellung bei Fort Monroe ausgerückt waren. General McClellan war auf der Halbinsel eingetroffen, und nun wussten alle Virginier, von wo aus der Blitzschlag auf sie niederfahren würde. Eine gewaltige Armee rückte gegen die schwachen Verteidigungsstellungen zwischen Yorktown und Mulberry Island vor. «Noch ein Monat», versicherte Price Lewis seinem Gefährten John Scully, «und wir sind gerettet. Wir werden Helden sein.»
«Falls sie uns nicht vorher hängen», sagte John Scully und bekreuzigte sich.
«Das werden sie nicht. Das wagen sie nicht.»
«Da bin ich nicht so sicher.» Scullys Selbstvertrauen wankte.
«Das werden sie nicht!», beharrte Price Lewis. Doch schon am nächsten Tag wurde das Militärgericht zum Gefängnis berufen, und man legte den Richtern die Karte mit Richmonds Verteidigungsanlagen und den Brief an den Ehrenamtlichen Sekretär des Konföderierten Armee-Bibelversorgungsvereins vor. Diese Beweise brachten sämtliche Skrupel zum Verstummen, die das Gericht aufgrund der Nationalität der Gefangenen gehabt haben mochte, und weniger als eine Stunde, nachdem das Gericht zusammengetreten war, verurteilte der vorsitzende Richter die beiden Gefangenen zum Tode. Scully schlotterte vor Angst, doch der große Engländer grinste die Richter nur höhnisch an. «Das werden Sie nicht wagen.»
«Bringt sie weg!» Der Lieutenant Colonel, der dem Gericht vorgesessen hatte, ließ seine Faust auf den Tisch krachen. «Ihr werdet gehängt, ihr Hundesöhne!»
Mit einem Mal spürte Scully, wie die Flügel des Todesengels dicht über ihn hinwegstrichen. «Ich will einen Priester!», flehte er Major Alexander an. «Um der Liebe Christi willen, Major, holen Sie mir einen Priester.»
«Halt die Klappe, Scully!», rief Price Lewis.
Der Engländer wurde eilig den Gang hinunter und in seine Zelle geschafft, während John Scully in einen anderen Raum geführt wurde, in den ihm Major Alexander eine Flasche Roggenwhiskey brachte. «Das ist verboten, John. Aber ich dachte, das hilft Ihnen über ihre letzten Stunden auf Erden.»
«Das werden Sie nicht wagen! Sie können uns nicht hängen!»
«Hören Sie mal genau hin!», sagte Alexander, und in der Stille hörte Scully ein Hämmern. «Sie sind schon dabei, den Galgen für morgen früh aufzubauen, John», sagte Alexander leise.
«Nein, Major, bitte.»
«Lynch heißt der Henker», sagte Alexander, «das müsste Ihnen eigentlich gefallen.»
«Mir gefallen?», fragte Scully verwirrt.
«Gefällt es Ihnen nicht, von einem anderen Iren gehängt zu werden? Allerdings ist der alte Lynch nicht gerade ein Künstler in seinem Fach. Die letzten beiden Fälle hat er verbockt. Einer war ein Schwarzer, der hat zwanzig Minuten zum Sterben gebraucht, und das war kein schöner Anblick, wahrhaftig nicht. Hat an dem Seil gezuckt, sich bepisst, und der Atem hat in seiner Kehle gerasselt wie Schmirgelpapier. Grauenhaft.» Alexander schüttelte den Kopf.
John Scully bekreuzigte sich, dann betete er mit geschlossenen Augen um Stärke. Er würde stark sein, er würde Pinkertons Vertrauen nicht enttäuschen. «Alles, was ich will, ist ein Priester», wiederholte er.
«Wenn Sie reden, John, werden Sie morgen früh nicht
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