Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Gottesdienst gefallen, Mr. Starbuck?»
«Ich war sehr bewegt, Miss Gordon.»
«Vater ist gut, nicht wahr? Seine Aufrichtigkeit teilt sich mit.» Starbucks Miene bereitete ihr Sorgen. Sie verwechselte seine Schuldgefühle als Sünder mit Abscheu vor den grauenhaften Verletzungen der Männer auf der Station. «Wird Sie das vom Kämpfen abhalten?», fragte Julia.
«Ich weiß nicht. Darüber habe ich nie nachgedacht.» Er sah zu Sally hinüber, die sich dem struppigen, verängstigten Mann widmete, der sich an ihre Hände klammerte, als könne nur sie allein für sein Überleben sorgen. «Soldaten denken nicht daran, dass sie an Orten wie diesem landen könnten.»
«Oder schlimmeren», sagte Julia trocken. «Es gibt hier Stationen für die Sterbenden, für Männer, denen nicht mehr zu helfen ist. Obwohl ich ihnen so gerne helfen würde.» Ihre Stimme klang wehmütig.
«Ich bin sicher, das würden Sie», sagte Starbuck galant.
«Ich meine nicht durch Besuche oder indem ich Kirchenlieder spiele, Mr. Starbuck. Ich meine, indem ich sie pflege. Aber Mutter will nichts davon hören. Sie sagt, ich werde mich mit einem Fieber anstecken. Und Adam will es auch nicht erlauben. Er will mich vor dem Krieg beschützen. Wissen Sie, dass er den Krieg ablehnt?»
«Das weiß ich», sagte Starbuck und sah Julia an. «Und Sie?»
«Ich sehe hier nichts, was Zustimmung verdient», sagte Julia. «Und doch muss ich zugeben, dass ich zu stolz bin, um mir einen Triumph des Nordens über uns zu wünschen. Also bin ich vielleicht eine Kriegstreiberin. Ist es das, was Männer zum Kämpfen bringt? Nur ihr Stolz?»
«Nur ihr Stolz», sagte Starbuck. «Auf dem Schlachtfeld will man beweisen, dass man besser ist als der Gegner.» Er erinnerte sich an die wilde Freude, mit der er bei Ball’s Bluff in die offene Flanke der Yankees vorgestoßen war, an die Panik in den blau uniformierten Reihen, an die Schreie, als die Gegner von der Kuppe des Steilufers und hinunter zu dem blutigen, von Kugeln gepeitschten Fluss gejagt worden waren. Dann überkamen ihn erneut Schuldgefühle, weil er sich an diese Freude des Kampfes erinnert hatte. Die Tore der Hölle, dachte er, standen für ihn gewiss besonders weit auf.
«Mr. Starbuck?», fragte Julia, besorgt über den Schrecken, der sich in seiner Miene zeigte, doch bevor er antworten und bevor Julia ein weiteres Wort sagen konnte, eilte Sally durch die Station heran und nahm Starbucks Ellbogen.
«Bring mich weg, bitte.» Ihre Stimme war leise und dringlich.
«Sal-», Starbuck unterbrach sich, weil ihm wieder einfiel, dass Julia Sally als Victoria kannte. «Was ist denn?»
«Dieser Mann», Sally hauchte die Worte nur und machte sich nicht die Mühe, näher zu beschreiben, von wem sie sprach, «hat mich erkannt. Bitte, Nate. Bring mich weg.»
«Ich bin sicher, das spielt keine Rolle», sagte Nate leise.
«Bitte!», zischte Sally. «Bring mich einfach hier raus!»
«Kann ich helfen?», fragte Julia verwirrt.
«Ich glaube, wir sollten gehen», sagte Starbuck. Allerdings lagen Sallys Umhang und sein Mantel auf dem Stapel am anderen Ende der Baracke, wo der Chirurg mit der blutverschmierten Schürze stand. Und es war der Chirurg gewesen, der Sally erkannt und dann mit Reverend Doctor Peterkin darüber gesprochen hatte, der sich nun seinerseits an Mrs. Gordon wandte. «Komm», sagte Starbuck, und er nahm Sally an der Hand. Er würde die Mäntel einfach dalassen, auch wenn es ihm leidtat, den schönen grauen Mantel zu verlieren, der Oliver Wendell Holmes gehört hatte. «Werden Sie mir verzeihen?», fragte er Julia, als er sich an ihr vorbeischob.
«Mr. Starbuck!», rief Mrs. Gordon gebieterisch. «Miss Royall!»
«Beachte sie einfach nicht», sagte Starbuck zu Sally.
«Miss Royall! Kommen Sie hierher!», rief Mrs. Gordon, und Sally ließ sich von ihrem Ton treffen und drehte sich zu ihr um. Adam hastete durch die Station, um festzustellen, was vor sich ging, während Reverend John Gordon von einem fiebernden Mann aufsah, neben dessen Pritsche er gekniet hatte.
«Ich werde draußen mit Ihnen sprechen», verkündete Mrs. Gordon und ging auf die kleine Veranda, auf der sich die Patienten an schönen Tagen unter dem Schutz eines schrägen Vordachs an der frischen Luft aufhalten konnten.
Sally zog ihren Umhang aus dem Stapel. Der Chirurg grinste sie höhnisch an und vollführte eine kleine Verbeugung. «Hundesohn», zischte ihm Sally zu. Starbuck nahm sich seinen Mantel und ging hinaus auf die
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