Starbuck. Der Verräter (German Edition)
zwischen Gott und dem Teufel, Mr. Starbuck!»
«Nate!», schloss sich Adam Mrs. Gordons Ermahnung an. «Lass sie gehen.»
«Warum? Weil sie eine Hure ist?» Starbuck spürte den Zorn in sich hochkommen, einen rasenden Zorn auf diese scheinheiligen Heuchler. «Ich habe es dir gesagt, Adam, sie ist eine Freundin, und Freunde lässt man nicht im Stich. Gott verfluche euch alle.» Er rannte Sally nach und holte sie bei den letzten Baracken ein, wo der morastige Hang des Chimborazo Parks steil zum Bloody Run hin abfiel und wo sich neben dem Fluss der Duellplatz der Stadt befand. «Es tut mir leid», sagte er zu Sally und nahm ihren Arm.
Sie schluchzte auf. Der Regen hatte ihr Haar dunkler werden lassen und dazu geführt, dass es vom Kopf abstand. Sie weinte, und Starbuck zog sie an seine Brust und in die Umhüllung seines scharlachrot gefütterten Mantels. Der Regen trommelte auf sein Gesicht. «Du hattest recht», sagte Sally. «Wir hätten nicht hingehen sollen.»
«Sie hätten sich nicht so benehmen sollen», sagte Starbuck.
Sally weinte leise vor sich hin. «Manchmal will ich einfach bloß ein ganz normales Leben führen», sagte sie mit tränenerstickter Stimme. «Ich will einfach nur ein Haus und Kinder und einen Teppich auf dem Boden und einen Apfelbaum. Ich will nicht leben wie mein Vater, und ich will nicht sein, was ich jetzt bin. Nicht für immer. Ich will einfach nur ganz gewöhnlich sein. Verstehst du, was ich meine?» Sie sah zu ihm auf, das Gesicht erhellt von den Feuern der Eisengießereien auf der anderen Seite des Flusses.
Er streichelte ihr über das regennasse Gesicht. «Ja», sagte er.
«Willst du denn nicht sein wie alle anderen?», fragte sie.
«Manchmal schon.»
«Verdammt», fluchte Sally. Sie löste sich von ihm, fuhr sich mit dem Ärmel unter der Nase entlang und schob sich das feuchte Haar aus der Stirn. «Ich dachte, wenn der Krieg vorbei ist, habe ich genug Geld, um mir einen kleinen Laden zu kaufen. Nichts Besonderes, Nate. Kurzwaren vielleicht. Ich spare mein Geld, weißt du, damit ich ganz normal leben kann. Niemand Besonderes bin. Keine Royall mehr, nur einfach ganz normal und gewöhnlich. Aber mein Vater hat recht», sagte sie jetzt mit einem Anflug von Rachsucht in der Stimme, «es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt. Es gibt Schafe und Wölfe, Nate, Schafe und Wölfe, und man kann seine Natur nicht ändern. Und die hier sind allesamt Schafe.» Sie deutete verächtlich auf die Krankenhausbaracken. «Einschließlich dein Freund. Er ist wie sein Vater. Er fürchtet sich vor Frauen.» Es war ein vernichtendes Urteil.
Starbuck zog sie erneut an sich und starrte über die Schatten des Bloody Run dorthin, wo sich die Lichter der Eisengießereien im regengepeitschten Fluss spiegelten. Er hatte bis zu diesem Augenblick noch nicht recht begriffen gehabt, wie allein er auf der Welt war. Ein Außenseiter, ein einsamer Wolf. Sally war genauso, abgelehnt von der feinen Gesellschaft, weil sie in ihrer verzweifelten Suche nach einem Ausweg deren Regeln gebrochen hatte, und das würde man ihr niemals verzeihen, ebenso wenig, wie man Starbuck verzeihen würde. Und das bedeutete, dass er es allein schaffen musste, er würde auf diese Leute spucken, die ihn ablehnten, und er würde es tun, indem er ein so guter Soldat wie nur möglich wurde. Er hatte schon immer gewusst, dass seine Rettung im Süden in der Armee lag, denn dort kümmerte es niemanden, was er war, solange er nur gut kämpfte.
«Weißt du was, Nate?», sagte Sally. «Da drin habe ich gedacht, ich hätte vielleicht eine Chance. Eine echte Chance, verstehst du? Dass ich gut sein könnte.» Die letzten Worte stieß sie leidenschaftlich hervor. «Aber sie wollen mich nicht in ihrer Welt, oder?»
«Du brauchst ihre Anerkennung nicht, um ein guter Mensch zu sein, Sally.»
«Die will ich auch gar nicht mehr. Eines Tages werden solche Leute wie sie darum betteln, von mir empfangen zu werden. Du wirst schon sehen.»
Starbuck lächelte im Dunkeln. Sie waren eine Hure und ein gescheiterter Soldat, die der Welt den Krieg erklärten. Er beugte sich zu Sally hinunter und küsste ihre regennasse Wange. «Ich bringe dich jetzt nach Hause», sagte er.
«In dein Zimmer», sagte Sally. «Mir ist nicht nach Arbeiten.»
Unter ihnen fuhr ein Zug aus der Stadt, das Licht aus seiner Feuerkammer warf einen grellen Schein über das feuchte Gras neben dem Fluss. Die Lokomotive zog Waggons mit Munition, die für die Halbinsel bestimmt waren, wo
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