Stark (Dark Half) - King, S: Stark (Dark Half) - The Dark Half
betrachtete ein paar Sekunden lang die leere Seite.
Dann nahm er einen der angespitzten Berol-Bleistifte zur Hand.
»Ich fange mit dem Hochzeitskuchen an«, sagte er zu Stark.
»Ja«, sagte Stark. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck sehnsüchtigen Eifers. »Ja, tu das.«
Thad hielt den Bleistift über die leere Seite. Dies war der Augenblick, der für ihn immer der schönste war - der Moment vor dem ersten Strich. Es war eine Art chirurgischer Eingriff, und der Patient kam fast nie mit dem Leben davon, aber man tat es trotzdem. Man mußte es tun, denn dafür war man geschaffen. Ausschließlich dafür.
Aber denke daran, dachte er. Denke daran, was du tust.
Doch ein Teil von ihm - der Teil, dem wirklich daran lag, Steel Machine zu schreiben - protestierte.
Thad beugte sich vor und ging daran, die leere Fläche zu füllen.
STEEL MACHINE
von George Stark
Erstes Kapitel: Die Hochzeit
Alexis Machine hatte nur selten abwegige Gedanken, und es war noch nie vorgekommen, daß ihm in einer solchen Situation ein abwegiger Gedanke gekommen war. Dennoch schoß er ihm durch den Kopf. Von allen Menschen auf der Welt - was? mehr als einer Milliarde? - bin ich der einzige, der mit einer halbautomatischen Heckler & Koch.223 in einem fahrenden Hochzeitskuchen steht.
Er war noch nie irgendwo eingeschlossen gewesen. Die Luft war sehr schnell verbraucht, aber er hätte ohnehin nicht tief durchatmen können. Der Zuckerguß auf dem Trojanischen Kuchen war echt, aber darunter war nichts als eine dünne Lage von Gipsplatten mit dem Handelsnamen Nartex - eine Art besserer Pappkarton. Wenn er seinen Brustkorb mit Luft füllte, würden Braut und Bräutigam, die auf der obersten Etage des Kuchens standen, vermutlich herunterkippen. Der Zuckerguß würde Risse bekommen und...
Er schrieb an die vierzig Minuten, kam immer mehr in Fahrt, und in seinem Denken nahmen die Bilder und Geräusche der Hochzeitsparty, die mit einem Paukenschlag enden sollte, allmählich deutliche Gestalt an. Schließlich legte er den Bleistift nieder. Er hatte ihn stumpf geschrieben.
»Gib mir eine Zigarette«, sagte er.
Stark hob die Brauen.
»Ja«, sagte Thad.
Auf dem Schreibtisch lag eine Schachtel Pall Mall. Stark schüttelte eine heraus, und Thad nahm sie. Nach so vielen Jahren fühlte sich die Zigarette fremd an zwischen seinen Lippen - irgendwie zu groß. Aber sie fühlte sich auch gut an. Sie fühlte sich richtig an.
Stark riß ein Streichholz an und hielt es Thad hin. Thad inhalierte tief, und der Rauch landete auf seine alte gnadenlose, gewollte Weise in seinen Lungen. Er fühlte sich sofort benommen, aber das Gefühl störte ihn nicht im mindesten.
Jetzt brauche ich einen Drink, dachte er. Und wenn ich diese Sache lebend und auf den eigenen Beinen überstehe, wird das das erste sein, was ich zu mir nehme.
»Ich dachte, du hättest das Rauchen aufgegeben«, sagte Stark.
Thad nickte. »Das dachte ich auch. Aber offenbar habe ich mich geirrt.« Er tat einen weiteren tiefen Zug und ließ den Rauch durch seine Nasenlöcher ausströmen. Er schob sein Notizbuch zu Stark hinüber. »Du bist dran«, sagte er.
Stark beugte sich über das Notizbuch und las den letzten Absatz, den Thad geschrieben hatte; mehr brauchte er nicht zu lesen. Sie wußten beide, wie die Geschichte weiterging.
Hinten im Haus hielten sich Jack Rangely und Tony Westerman in der Küche auf, und Rollick mußte eigentlich inzwischen oben sein. Alle drei waren mit halbautomatischen Steyr-Augs bewaffnet, dem einzigen guten Maschinengewehr, das in Amerika hergestellt wurde, und selbst wenn einige der als Hochzeitsgäste verkleideten Leibwächter sehr schnell sein sollten, müßten die drei Männer eigentlich in der Lage sein, einen Feuersturm loszulassen, der zur Deckung ihres Rückzugs ausreichte. Laßt mich nur aus diesem Kuchen raus, dachte Machine. Das ist alles, was ich verlange.
Stark zündete sich selbst eine Pall Mall an, nahm einen seiner Berols zur Hand, schlug sein eigenes Notizbuch auf - und hielt dann inne. Er sah Thad an, und in seinem Blick lag nackte Ehrlichkeit.
»Ich habe Angst«, sagte er.
Und Thad überkam eine starke Welle des Mitgefühls für Stark - trotz allem, was er wußte. Angst. Ja, natürlich hast du Angst, dachte er. Die einzigen, die keine Angst haben, sind diejenigen, die gerade erst anfangen - die Kinder. Die Jahre gehen dahin, und die Worte auf dem Papier werden nicht dunkler - aber die weißen Flächen werden immer weißer. Angst? Wenn du
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