Stark (Dark Half) - King, S: Stark (Dark Half) - The Dark Half
Legten eine Spur zu viel ungekünstelter Ernsthaftigkeit an den Tag. Und sie strengten sich nicht an, um ihn oder auch nur sich selbst zu überzeugen, sondern nur, um in Worte zu fassen, wie es gewesen war - ähnlich wie ein Mann, der versucht, eine Schießerei zu beschreiben, in die er vor langer Zeit geraten ist.
»Also«, sagte Thad schließlich, »lassen wir die Trancezustände und die Sperlinge und visionären Vorahnungen - wenn es sich um solche gehandelt hat - eine Minute lang außer acht. Wenn Sie das Gefühl haben, es tun zu müssen, können Sie sich über die körperlichen Symptome mit meinem Arzt George Hume unterhalten. Vielleicht stellt sich heraus, daß irgend etwas nicht stimmt, wenn die Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen, denen ich mich unterzogen habe, aber selbst wenn das der Fall sein sollte, besteht die Möglichkeit, daß der Arzt, der mich als Kind operierte, noch am Leben und imstande ist, sich mit Ihnen über den Fall zu unterhalten. Vielleicht weiß er etwas, das Licht in diese Angelegenheit bringen kann. Mir fällt sein Name im Augenblick nicht ein, aber ich bin sicher, daß Dr. Hume ihn in seinen Unterlagen hat. Aber im Augenblick ist dieser ganze psychische Mist nur ein Nebengleis.«
Diese Worte Thads empfand Alan als überaus erstaunlich - zumindest für den Fall, daß er die eine präkognitive Niederschrift gefälscht und hinsichtlich der anderen gelogen hätte. Jemand, der verrückt genug war, etwas dergleichen zu tun - und verrückt genug, zu vergessen, daß er es getan hatte, jemand, der überzeugt war, daß es sich bei diesen Niederschriften um ein psychisches Phänomen handelte -, ein solcher Mensch würde über nichts anderes reden wollen. Oder etwa nicht? Sein Kopf begann zu schmerzen.
»Also gut«, sagte er. »Wenn das, was Sie >psychischen Mist< nennen, nur ein Nebengleis ist - was ist dann die Hauptstrecke?«
»George Stark ist die Hauptstrecke«, sagte Thad und dachte: Die Strecke, die nach Endsville führt, dem Ort, an dem alle Züge enden. »Stellen Sie sich vor, ein fremder Mann wäre in Ihr Haus eingezogen. Jemand, vor dem Sie sich immer ein bißchen gefürchtet haben - auf die Art, wie sich Jim Hawkins
auf der Admiral Benbow immer ein bißchen vor dem alten Seebären fürchtet - Sie kennen die Schatzinsel, Alan?«
Er nickte.
»Gut, dann kennen Sie auch die Art von Gefühl, die ich zu beschreiben versuche. Sie haben Angst vor diesem Mann, Sie mögen ihn nicht, aber Sie lassen zu, daß er bleibt, weil Sie glauben, er wäre ein entfernter Verwandter ihrer Frau oder etwas dergleichen. Und eines Tages, nachdem er irgend etwas getan hat, zum Beispiel einen verstopften Salzstreuer an die Wand geworfen, sagen Sie schließlich zu Ihrer Frau: >Wie lange gedenkt dein verdammter Vetter zweiten Grades noch bei uns zu bleiben?< Und sie schaut Sie an und sagt: > Mein Vetter zweiten Grades? Ich dachte, er wäre dein Vetter!<«
Alan mußte wider Willen hellauf lachen. Der Mann war tatsächlich ein Geschichtenerzähler. Ungeachtet dessen, was er vielleicht sonst noch sein mochte.
»Aber werfen Sie den Mann hinaus?« fuhr Thad fort. »Nein. Einmal hält er sich schon seit geraumer Zeit in Ihrem Haus auf und hat, so grotesk es sich für jemanden anhören mag, der sich nicht in der gleichen Situation befindet, so etwas wie ein Wohnrecht oder dergleichen erworben. Aber das ist nicht das eigentlich Wichtige.«
Liz hatte genickt. In ihren Augen lag der erregte, dankbare Ausdruck einer Frau, die gerade das Wort gehört hat, das ihr schon den ganzen Tag auf der Zunge lag.
»Das eigentlich Wichtige ist, wieviel Angst Sie vor ihm haben«, sagte sie. »Angst davor, was er tun könnte, wenn Sie ihm tatsächlich sagten, er solle seine Koffer packen und verschwinden.«
»So ist es«, sagte Thad. »Sie wollen tapfer sein und ihm sagen, er soll sich verziehen, und das nicht nur, weil Sie fürchten, daß er gefährlich werden könnte. Es wird zu einer Frage der Selbstachtung. Aber Sie schieben es immer wieder auf. Sie finden Gründe dafür, es aufzuschieben. Wie etwa den, daß es draußen regnet und er vielleicht weniger Stunk machen wird, wenn Sie ihn an einem sonnigen Tag vor die Tür setzen. Oder vielleicht erst, wenn alle eine gute Nacht hinter sich haben. Sie ersinnen tausend Gründe, es aufzuschieben. Sie stellen fest, wenn die Gründe Ihnen selbst einigermaßen
einleuchtend erscheinen, dann können Sie sich zumindest einen Teil ihrer Selbstachtung bewahren, und ein Teil ist besser als
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