Stark (Dark Half)
Wendys erstem Schrei und ihrem Bemühen, den zweiten auszustoßen und weiterzuatmen, wurde George Stark zum ersten Mal in den letzten acht Tagen aus Thads Denken vertrieben. Wendy tat einen tiefen, krampfhaften Atemzug und begann zu brüllen. Thad, vor Erleichterung zitternd, drückte sie an seine Schulter und begann ihr sanft über den Rücken zu streichen, wobei er beruhigende Laute von sich gab.
Liz kam die Treppe heruntergestürzt, einen zappelnden William unter den Arm geklemmt wie einen kleinen Mehlsack. »Was ist passiert, Thad?«
»Sie ist von der dritten Treppenstufe gefal en. Jetzt ist al es wieder in Ordnung. Nachdem sie angefangen hat zu weinen. Zuerst war es, als wäre sie — einfach ausgerastet.« Er lachte zittrig und tauschte Wendy gegen William aus, der jetzt in teilnehmender Harmonie mit seiner Schwester brül te.
»Hast du denn nicht aufgepaßt?« fragte Liz vorwurfsvoll. Sie schwang ihren Körper automatisch in den Hüften vor und zurück, schaukelte Wendy, versuchte sie zu beruhigen.
»Ja - nein. Ich ging hinüber, um mir eine Zeitschrift zu holen. Fast im gleichen Moment war sie auf der Treppe. Es war wie bei Will und der Teetasse. Sie sind so verdammt flink. Was meinst du - ist ihr Kopf in Ordnung? Sie ist auf den Teppich gestürzt, aber ziemlich hart.«
Liz hielt Wendy einen Moment auf Armeslänge von sich, betrachtete die rote Stelle und küßte sie dann sanft.
Die Lautstärke von Wendys Geschrei begann bereits abzunehmen.
»Ich glaube schon. Sie wird ein oder zwei Tage lang eine Beule haben, das ist alles. Gott sei Dank für den Teppich. Ich wollte dich nicht anschreien, Thad. Ich weiß, wie flink sie sind. Es ist nur - mir ist irgendwie zumute wie sonst vor meiner Regel, nur daß ich dieses Gefühl jetzt ständig habe.«
Wendys Schluchzen ebbte zu einem Schnüffeln ab. Dementsprechend begann auch Wil iam zu verstummen. Er streckte einen pummeligen Arm aus und ergriff das weiße T-Shirt seiner Schwester. Sie sah sich um.
Er krähte, dann plapperte er etwas. Thad kam ihr Plappern immer etwas unheimlich vor — wie eine Fremdsprache, gerade so schnel gesprochen, daß man nicht sagen kann, um welche es sich handelt, von Verstehen ganz zu schweigen. Wendy lächelte ihren Bruder an, obwohl ihr immer noch Tränen aus den Augen kamen und ihre Wangen naß waren. Sie krähte und plapperte eine Antwort. Einen Augenblick lang war es, als hielten sie Zwiesprache in ihrer eigenen, ganz privaten Welt, der Welt von Zwillingen.
Wendy streckte die Hand aus und legte sie William auf die Schulter. Sie schauten sich ins Gesicht und plapperten weiter.
Ist alles in Ordnung, Süße?
Ja, ich habe mir wehgetan, lieber William, aber nicht schlimm.
Willst du heute abend lieber nicht zur Dinnerparty der Stadleys gehen, mein Herz?
Es wird schon gehen, aber es ist sehr rücksichtsvoll von dir, das fragen.
Bist du ganz sicher, liebe Wendy?
Ja, lieber William, es ist weiter nichts passiert, aber ich fürchte, ich habe meine Windel vollgemacht.
Oh, Liebling, wie lästig!
Thad lächelte ein wenig, dann betrachtete er Wendys Bein. »Das gibt einen blauen Fleck«, sagte er. »Es sieht aus, als bildete er sich bereits.«
Liz bedachte ihn mit einem kleinen Lächeln. »Der verschwindet auch wieder«, sagte sie. »Und es wird nicht der letzte sein.«
Thad beugte sich vor und küßte Wendy auf die Nasenspitze, wobei ihm der Gedanke kam, wie schnel und wie heftig diese Stürme aufkamen - keine drei Minuten zuvor hatte er gefürchtet, sie könnte an Sau-erstoffmangel sterben - und wie schnell sie wieder abflauten. »Nein«, pflichtete er ihr bei. »So Gott wil , wird es nicht der letzte sein.«
Als die Zwillinge gegen sieben aus ihrem Spätnachmittagsschläfchen aufwachten, hatte sich die Prellung an Wendys Oberschenkel dunkel purpurn verfärbt. Sie hatte eine ganz eigentümliche Form - wie ein Pilz.
»Thad?« sagte Liz, die am anderen Wickeltisch stand. »Sieh dir das an.«
Thad hatte Wendys Windel abgenommen, leicht feucht, aber nicht wirklich naß, und sie in den mit WENDY
beschrifteten Windeleimer geworfen. Er trug seine nackte Tochter hinüber zum Wickeltisch seines Sohnes, um zu sehen, was Liz ihm zeigen wollte. Er blickte auf William herab, und seine Augen weiteten sich.
»Was hältst du davon?« fragte sie ruhig. »Ist das nun gespenstisch oder nicht?«
Thad blickte lange Zeit auf William herab. »Ja«, sagte er schließlich, »das ist gespenstisch.«
Sie hielt ihren zappelnden Sohn mit einer Hand
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