Starke Frau, was nun?
einer extremen Form von Geltungsbedürfnis.« Als hätte ihn soeben DIE Erleuchtung ereilt, reißt er die Augen auf. »Wieso ist mir der Gedanke nicht schon früher gekommen?! Deiner Strickgruppe gehen die Themen aus und du spielst the Lockvogel, right? Kein Problem, ich habe immer ein paar Slogans auf Lager - Evergreens, yeah, aber sie passen immer: Rettet die Wale, Kampf den Robbenschlächtern, beendet die Rodung des Urwaldes, Peace, not War.«
Lisa würdigt ihn keines Blickes und setzt ihre Kopfhörer auf. »Die Dudelei ist demnächst vorbei ... Idiot«, knurrt sie dabei.
Der Typ tut, als hätte er sie nicht gehört. Sekunden später strahlt sie ins Mikro. »Da wären wir wieder zu einer nächsten Runde Radtke und Scout. Radtke – das bin ich, eure Lisa. Scout – das ist mein heutiger Studiogast. Ihr kennt ihn nicht, aber das wird sich bald ändern. Mister Scout ist nämlich der neue Programmleiter des Berlin-Radios, und wir alle sind ja schon so gespannt, mehr über ihn zu erfahren.« Herausfordernd schaut sie auf. »Amerikanischer Name, einwandfreies Deutsch, kommt direkt aus den Staaten, da passt doch etwas nicht zusammen.« Lisa senkt die Lider und sieht kokett zu ihm durch ihre dichten Wimpern auf, was ihr ein anerkennendes Kopf-zur-Seite-legen einbringt. Doch dann deutet er auf ihre kleinen, aber natürlichen und verdammt formschönen Brüste – kein BH erforderlich! – und hebt seine nicht vorhandenen.
BIGGER!, formt er mit den Lippen. A little bit! Then ... Beide Daumen schnellen in die Höhe. Perfect!
Sie kontert mit dem legendären Stinkefinger.
»Yeah, was soll ich sagen?«, meint er unschuldig ins Mikro. »Mutter Deutsche, Dad GI, blieb nach der Besatzung in Deutschland, ich bin der einzige Sprössling. Daddy wollte, dass Sonny in Amerika ausgebildet wird; ich jettete einmal über den Teich, studierte Medienwissenschaften, ging wieder nach Hause, fand old Germany zu kalt – es war gerade Winter – und flog zurück. Dort heuerte ich als Botenjunge bei einem statewide Sender an und stieg konstant auf.« Er zuckt mit den Schultern. »A man gotta do, what a man gotta do ...«
»Der amerikanische Traum, wie er rührender nicht geschrieben werden kann«, haucht Lisa ergriffen. »Wären Sie eine Frau, müsste ich mich jetzt unweigerlich danach erkundigen, mit wie vielen Männern Sie schlafen mussten, um es so weit zu bringen.« Grübelnd mustert sie ihn. »Sie hatten nicht zufällig ausschließlich Frauen als Vorgesetzte?«
Bedauernd grinst er und schmollt Däumchen drehend. »Unglücklicherweise, nein.«
»Was zwangsläufig einige höchst heikle Fragen aufwirft, von denen ich leider nicht eine stellen darf - schließlich befinden sich Kinder unter unseren Zuhörern.«
Das kommentiert er mit einem mitleidigen Kopfschütteln.
»Wie ist es Ihnen sonst gelungen?«, erkundigt sie sich gespannt.
»Mit Talent, Honey«, bemerkt er gönnerhaft. »Ich verdanke meinen gigantischen Aufstieg einzig und allein meinen phänomenalen Fähigkeiten.«
»Na, womit wir uns ja glücklich schätzen können, endlich auch in den Genuss zu kommen«, erwidert sie trocken. »Ihr hört Radio Berlin, Lisa Radtke im Countdown . Als Nächstes My Chemical Romance mit ›Mama‹, und dann befragen wir Chris – wir dürfen Sie doch Chris nennen?« Mit eindeutig gefaktem Interesse schaut sie zu ihm auf und der Armleuchter grinst nach wie vor. »Ich bitte sogar darum. In America sind die Leute nicht halb so zugeknöpft. Vielleicht, weil es dort wärmer ist?«
»Ye... Das kann ich mir vorstellen«, erwidert sie heiter und betätigt die Regler.
Kaum läuft der Song, öffnet sich die Tür und eine strahlende Rebekka tritt ein.
»RAUS DAMIT!«, zischt Lisa keine Sekunde später. »Es stinkt!«
Dafür kassiert sie den vorwurfsvollen Blick ihrer Kollegin, die möglicherweise ihre Freundin hätte werden können, was aber genau in diesem Moment für immer und ewig gestorben ist. Die unterbelichtete Schlunze platziert einen riesigen Teller vor den Macho. Darauf befindet sich ein übelst stinkendes Stück Fleisch, das deutliche Grillnarben aufweist. Dazu gibt es Pommes, Salat, Kaffee und Coke. Verdammtes Klischee! Lisas lautes Würgen bleibt leider ebenfalls unbeachtet.
»Oh, you‘re so fucking brilliant, Baby. I‘m starving«, knurrt er dunkel.
Rebekka – darauf hätte Lisa gewettet, wenn es erforderlich wäre – geht genau in diesem Moment in die Knie. Gedanklich natürlich nur, aber trotzdem: was für ein
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