Starke Frauen
Pummelchen, göttlich im Bett.
Anna Amalia reist nach Italien. Ohne Goethe, aber auf seinen Spuren. Er stürzt sich in seine Pflichten als Staatsminister und heiratet nach 18 Jahren wilder Ehe 1806 doch noch seinen »Bettschatz«. Aber ein Jahr später, nach Anna Amalias Tod, bezeichnet er sich als »Witwer«.
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Goethe über Anna Amalia:
»Vollkommene Fürstin mit vollkommen menschlichem Sinne«
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Als die Herzogin stirbt, ist »ihre« Welt bereits untergegangen. Preußen bangt um seine Existenz, nachdem Napoleon seine Armeen vernichtet hat. Das nationale Selbstverständnis ist erschüttert. Erst vor diesem Hintergrund wird deutlich, was Anna Amalia, die Protagonistin einer liberalen Erneuerung, geleistet hat. Materiell kann ihr Herzogtum weder mit Preußen noch mit Bayern mithalten. Aber in »ihrem« Weimar entfaltet sich jene Kultur, Kunst und Sprache, der wir bis heute anhängen.
Gedankt hat ihr keiner. Und wir tun ihr immer noch unrecht, wenn man sie lediglich als Goethes Anhängsel sieht. Kein Kultur-Deutschland ohne Goethe? Möglich. Aber: Kein Goethe ohne Anna Amalia. Und er hat sie enttäuscht – als Mann und als Mensch. Den Faust -Dichter erlebte sie nicht mehr.
Auf ihren Sohn hingegen kann sie stolz sein. Carl August verzichtet auf eine militärische Karriere, um das Werk seiner Mutter fortzuführen. 1816 schafft Sachsen-Weimar-Eisenach als erstes deutsches Land die Pressezensur ab und gewährt seinen Untertanen das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Im feudalen Russland der Zarenzeit, in St. Petersburg geboren, wird sie von ihrer deutschstämmigen Mutter erzogen, die sittsam, prinzipienhörig und unauffällig ist, also genau das, was die Tochter nicht sein will: »Es ist unbeschreiblich schwer, still zu sein, sich zu beugen, wenn die ganze Seele glüht, zu streben, zu ringen, zu handeln.«
Als die Mama einmal in einem Fluss zu ertrinken scheint, ruft »Ljolja« (so ihr Kosename) vom Ufer: »Nitschewo!« (»Macht nichts.«) »Meine früheste Kindheitserinnerung ist mein Umgang mit Gott«, schreibt die knapp 70-jährige Lou in ihrem Lebensrückblick , und zwar »mit meinem ganz alleinigen Spezialgott«. Diesem Gott erzählt sie jeden Abend, was sie erlebt hat, ihm stellt sie Fragen, die sich nicht »ziemen«.
Zärtlichen Rückhalt findet Louise bei ihrem Vater, dem Zaren-General Gustav von Salomé. Er ist 57, als seine Frau nach fünf Söhnen eine Tochter gebiert – Louises Geburtstag fällt fast auf den Tag genau mit der Aufhebung der Leibeigenschaft zusammen.
Der entzückte Vater fördert den Eigensinn seines »kleinen Weibs«: »Schulzwang braucht die nicht«, entscheidet er, als sie ihm beichtet, dass sie Schule langweilig findet. Eines Tages hört Louise einen Diener von einem Ehepaar erzählen, das sich über Nacht in nichts auflöste (dass es Schneemänner waren, sagt er nicht). Vorm Einschlafen fragt sie den Allwissenden, wieso er dies geschehen ließ. Er schweigt, Louise ist verwirrt: Sollte Gott nicht antworten, weil er nicht existiert?
Im Konfirmationsunterricht hört sie, es gebe keinen Ort, an dem Gott nicht gegenwärtig sei. »Doch«, wirft sie ein, »die Hölle.« Die Hölle ist für sie »ein Ort der Vereinsamung, wo wir selbst uns entwendet werden. Also nicht einmal mehr allein, sondern in der Gesellschaft des Unheimlichen sind.« Am 23. Februar 1879 stirbt der idealisierte Vater. Jetzt hat Louise beide »Götter« verloren, ist in der »Hölle«. Aber auch in Aufbruchstimmung: Ist Gott tot (wie Nietzsche später behauptet), ist dann nicht alles erlaubt (wie der russische Schriftsteller Dostojewski beteuert)? Ist dann der Mensch nicht frei? Und was braucht man mehr als »Freiheit und immer wieder Freiheit, um die geltenden Verhaltungsmaßregeln zu zerbrechen«. Ab sofort weigert sich Louise, zum Konfirmationsunterricht zu gehen. Und verschafft sich – heimlich – einen Ersatz.
Sie bittet den Pastor Hendrik Gillot, sie in Philosophie zu unterrichten. Auf seinem Schoß sitzend, liest sie Kant, diskutiert über Atheismus und »wilde Ehe«. Gillot, 25 Jahre älter, ist der Erste, der von ihrer Überschwänglichkeit, ihrem Drang, Unkonventionelles zu wagen, ihrem Intellekt fasziniert ist. Er verliebt sich. Als er ihr mitteilt, dass er (endlich!) ihrer Mutter gestand, dass sie sich treffen und dass er sich scheiden lässt, um sie heiraten zu können, fällt Louise in Ohnmacht: »Mit einem Schlag fiel das von mir Angebetete mir aus Herz und Sinne ins Fremde.« Von irdischer
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