Starke Frauen
»sie mit Männern oft besser als mit Frauen kann«. Und die große Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich (Ex-Mitstreiterin von Alice Schwarzer) erkennt sogar: »Der größte Feind der Frauen ist die Frau.« Allerdings nur jene Frau, die stark wie ein Mann sein möchte und die ihre ureigene Stärke verkümmern lässt.
Richtig: Mann und Frau müssen rechtlich gleichgestellt sein. Deshalb müssen sie aber noch lange nicht gleich sein, denn bei Gleichheitaller geht die Individualität verloren. Erst die persönliche Einzigartigkeit macht die Menschenwürde aus. Schaut man genauer hin, wirkt die neuzeitliche Frauenbewegung wie eine »rauschhafte Überzeichnung« (Gertrud Höhler). Unglaublich erfrischend. Aber vor allem: nivellierend. Und ihre Wirkung ist überschaubar. Die kinderlose Frau, männergleich, als Teil der Arbeitswelt, wird wohl niemals mehrheitsfähig sein. Und die »Nur-Hausfrauen« vermissen immer noch die entsprechende Wertschätzung (von Männern wie Feministinnen).
Wie also ist die starke Frau der postfeministischen Ära? Da wären einerseits die »Mütter« einer nahezu vaterlosen Gesellschaft (Angela Merkel, Alice Schwarzer, Marie-Luise Marjan), allesamt kinderlos und androgyn anmutend; und die Germany’s-Next-Topmodels, die nicht mehr als emanzipiert gelten wollen, sich durch konventionelle Rollenklischees verwirklichen. Andererseits zeigen sich immer mehr Frauen bereit, beides zu meistern, ihren Beruf und ihre Familie. Wie zum Beispiel Bundesministerin Ursula von der Leyen, ihrerseits siebenfache Mutter, die die Männer ermahnt, mehr Verantwortung in ihren Familien zu übernehmen – oder wie einst die Klaviervirtuosin Clara Schumann, ebenfalls sieben Kinder, die die Führung ihres Haushalts, nachdem Gatte Robert erkrankt war, Johannes Brahms übertrug.
Fazit: Wie Hildegard von Bingen nehmen die starken Frauen von heute Anpassung manchmal in Kauf. Auch diese Nonne war schließlich von der Duldung der Männerwelt abhängig. Den Männern gebührten Amt und Weihe, ihre Hierarchien waren heilig. Hildegard hatte nur eine Chance, gehört zu werden: wenn sie strategisch handelte und die Rolle spielte, die man von einem so »armseligen Geschöpf« erwartete. Obwohl sie nicht daran zweifelte, dass sie den Männern ebenbürtig war, und ihre Meinung sogar theologisch begründete!
Die Frau ist kein Abklatsch des Mannes, predigt sie. Mann und Frau sind gleichrangig, obwohl unterschiedlich: »Gott schuf den Menschen, und zwar den Mann von größerer Kraft. Die Frau aber mit zarterer Stärke.« Das ist eine Win-Win-Situation, die beide Geschlechter stark werden lässt, auf ihre ureigene Art und Weise. Und so rät Hildegard den Männern, im Namen Gottes umzudenken. Ander Spitze der christlichen Tugenden steht schließlich nicht »stark« oder »männlich«, sondern »schwach«. Wer Gott dienen, das »Wort Gottes wie eine Frau ein Kind empfangen« wolle, muss mütterlich sein.
Die wahren starken Frauen setzten Hildegards Vermächtnis um. »Ich glaube, ich bin 100 Prozent Mann und 100 Prozent Frau«, sagt Leni Riefenstahl. Clärenore Stinnes, die als erster Mensch in einem Auto die Welt umrundete, meint: »Frauen sind nicht besser, aber genauso gut wie Männer.« Clara Zetkin kämpfte um ein Bildungssystem, das Frauen wie Männer zu »Vollmenschen« erzieht.
Starke Frauen schaffen es in der Regel tatsächlich, Vollweib und Erfolgsmensch, zielstrebige Kämpferin und philanthropische Liebende, empfindsamer Familienmensch und im Job knallharte Entscheiderin gleichzeitig zu sein. Frei nach dem Motto: Dienen – und dennoch prägen. Sich anpassen – und dennoch sich selbst treu bleiben. Sich hingeben – und trotzdem bewegen.
Bleibt die Gretchenfrage: Sind starke Frauen, die selbstbewusster, selbstbestimmter leben, deshalb auch glücklicher? Ich weiß es nicht, da Glück – gottlob! – nicht messbar ist.
Sommer 2011
Dana Horáková
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