Starke Frauen
Liebe hat sie erst einmal genug. Louise liebt Gillot ebenfalls, aber nicht als Mann, sondern als väterlichen »Gottmenschen« (so nennt sie ihn). Und mit einem Vater schläft man nicht. Louise wird vermutlich niemals mit einem Mann ins Bett gehen, der älter ist als sie. Was bleibt, ist ein Schlüsselerlebnis: Immer wenn sie glaubt, das Normalste zu tun, wird ihr Benehmen falsch interpretiert, sie richtet Katastrophen an.
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»Was braucht man mehr als Freiheit und immer wieder Freiheit?«
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Dennoch lässt sie sich von Gillot konfirmieren, der beendet seine Einsegnung mit den Worten: »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du bist mein« ( Jesaja 43,1). Er gibt ihr einen neuen Namen, so einzigartig wie sie selbst: Lou. Lou akzeptiert den Auftrag: »Mir mein eigenes Leben nach mir selber bilden, das werde ich ganz gewiss.«
1880 schreibt sich Lou in Zürich für Philosophie und Kunstgeschichte ein, schon ein Jahr später ist sie in Rom – Reisen bleibt Lous große Leidenschaft. In Rom trifft sie den Philosophen Paul Rée, sie diskutieren tagelang. Er behauptet, es gebe kein angeborenes Moralgefühl und Gott sei eine Illusion. Lou ist begeistert, Paul unsterblich verliebt. Hat sie ihn ermutigt? Im Gegenteil, sie lässt ihn unmissverständlich wissen, dass in ihrem Leben das Kapitel Liebe abgeschlossen ist.
Sein Freund, der Philosophieprofessor Friedrich Nietzsche, will »Pauls Russin« kennenlernen. Statt einer Begrüßung stottert er: »Von welchen Sternen sind wir hier einander zugefallen?« Paul (12 Jahre älter)und Friedrich (17 Jahre älter) wollen sie heiraten, sie lehnt beide ab: »Lou – Charakter der Katze –, das Raubtier, das sich als Haustier stellt«, notiert Nietzsche.
Es entsteht ein Foto, das ganz Europa entsetzt: Die beiden Philosophen sind wie Maulesel vor einem Karren angeschirrt, und Lou schwingt die Peitsche. Einige Monate später schreibt der Prophet des Nihilismus sein berühmtes Werk Also sprach Zarathustra mit dem berühmten Spruch: »Du gehst zu den Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!«
Lou geht auf Reisen, lernt Europas geistige Elite kennen, unter anderem den Dramatiker Frank Wedekind ( Frühlings Erwachen ). Nachts auf den Champs-Elysées marschierend, reden sie über Gott und die Welt. Sie geht mit ihm auf sein Zimmer und staunt, als er plötzlich mehr will als plaudern ... Die Titelheldin von Wedekinds bekanntestem Drama, ein verführerisches Kind-Weib, heißt »Lulu«.
Mit 24 veröffentlich Lou ihr erstes Buch Im Kampf um Gott und lässt ihren Protagonisten darin fragen: Wo sind die moralischen Leitbilder, an denen man sich ausrichten kann, wenn man seinen Glauben verliert?
Am 20. Juni 1887 wird Lou von Pastor Gillot mit dem Berliner Orientalisten Friedrich Carl Andreas verheiratet. Nur die beiden wissen vermutlich, warum. Ein halbes Jahr zuvor, am 30. November 1886, besuchte der Sohn eines armenischen Fürsten und einer Deutschen Lou, um die mystische Einheit von Mensch und Tier zu erörtern. Plötzlich »hatte er nach dem Messer gegriffen und es sich in die Brust gestoßen«. Der herbeigerufene Arzt hält sie für die Mörderin, bis Andreas »mit ein paar Silben deutlich macht, wer hier das Messer gehandhabt haben mochte«. Tags darauf findet die Verlobung statt, Lou besteht auf einem »Ehevertrag«: Kein Sex, niemals. Andreas stimmt zu, hält er doch die Bedingung für die Marotte einer Jungfrau. Als er also über sie herfällt, erwürgt sie ihn fast und wundert sich, wieso er sich nicht an die Abmachung hält.
Lou trägt den Doppelnamen Andreas-Salomé – die Ehe endet erst nach 43 Jahren. Scheidung lehnte er, 15 Jahre älter, mehrmals ab, nennt seine Frau »Töchting« und sie ihn »Älterchen«. Trost findet er bei der Haushälterin, die Lou ausgesucht hatte und die mit dem Ehepaar nachGöttingen zieht, wo Andreas eine Professur für Orientalistik erhält. Ihre Tochter Mariechen setzt Lou als ihre Universalerbin ein.
Als Literatin ist die keusche »Frau Professor« mittlerweile berühmt. Ihre Bücher über Ibsen, Nietzsche, Tolstoi, die sie als Vorläufer einer neuen Geistesbewegung erkennt, verschaffen ihr Zugang zu August Strindberg, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal.
Und die Liebe? Sie ist, schreibt sie, wie »das gute, gesegnete Brot, womit wir täglich unseren Hunger stillen. Das Wichtigste, Schönste, Selbstverständlichste, dem wir alles verdanken.« Lou Andreas-Salomé muss mindestens 35 Jahre alt
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