Starke Frauen
wieder in Freiburg. Frau Heidegger lässt es nicht zu, dass die Witwe ihren Gatten allein sprechen kann. Wieso lässt Hannah nicht los? Will sie ihm ein Geständnis, von dem die Rechtfertigung ihres Lebens abhängt, abringen?
August 1975. Das letzte Treffen. Ein Desaster: »Er ist nun plötzlich wirklich sehr alt«, gesteht sie ihrer Intimfreundin Mary McCarthy. »Durch Heidegger fühlte ich mich als denkendes Wesen wie als Frau erhoben.« Möglich. Aber indem er ihr die Anerkennung ihrer Arbeit verweigerte, hielt er sie bis zuletzt an der Leine. Dennoch glaubt sie: »Nur das ist wahr, dem wir bis zuletzt die Treue halten.«
Am 4. Dezember genehmigt sich Hannah eine Arbeitspause, hat Gäste, setzt sich in ihren Lieblingsstuhl neben dem Schreibtisch, zündet sich eine Zigarette an – es wird ihre letzte. Auf ihrem Schreibtisch stehen drei Bilderrahmen mit den Fotos der Menschen, die sie prägten: die Mutter, ihr Ehemann und Heidegger.
Den Linken war Hannah Arendt zu konservativ, den Konservativen suspekt. Gefragt, wo sie wirklich steht, antwortet sie: »Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht und habe es nie gewusst.« Und sie lehnt es in ihren späten Jahren ab, als »Philosophin« bezeichnet zu werden, denn: »Ich fühle mich als das, was ich nun einmal bin, das Mädchen aus der Ferne.«
Pinas Eltern betreiben ein kleines Hotel in Solingen: »Da musste ich ebenso wie meine Geschwister helfen. Ich habe stundenlang Kartoffeln geschält, die Treppen geputzt, Zimmer aufgeräumt«, erzählt sie 2007 in Tokio in ihrer Dankesrede für den Kyoto-Preis – die höchste Auszeichnung, mit der ein Bühnenkünstler geehrt werden kann.
Da nervös wie immer, wenn sie öffentlich reden muss, liest die Choreografin ihre Erinnerungen ab: »Meine Eltern hatten auch nie Zeit, sich viel um mich zu kümmern.« Die offenherzigen Gespräche der späten Gäste, ein verwilderter Garten mit alten Kirschbäumen zum Klettern – das Nachkriegskind muss träumen, statt zu glotzen oder zu shoppen. Und Philippina (so ihr Taufname) träumt von der Pirouetten-Queen Marika Rökk.
Wie aber landet eine Wirtstochter beim Ballett? Chorsänger aus dem Essener Theater, Stammgäste im väterlichen Lokal, nehmen die Fünfjährige »eines Tages mit ins Theater, zum Kinderballett«. Die Mädchen müssen, auf dem Bauch liegend, die Beine an den Kopf legen: »Und da sagte dann die Lehrerin: Du bist ja ein Schlangenmensch! ... Ab da wollte ich unbedingt immer dorthin gehen.«
Mit 14 kommt Pina in die Tanzabteilung der Essener Folkwangschule und entpuppt sich früh als Authentizitäts-Fanatikerin: Spielt sie einen Liftboy, der einen schweren Koffer tragen muss, packt sie sich den Koffer voll, »um zu wissen, wie man einen schweren Koffer richtig trägt. Mir war wichtig, dass es echt war und nicht nur so, als ob.«
Als Meisterschülerin des legendären Erneuerers des Ausdruckstanzes Kurt Jooss reist sie, mit einem Stipendium für die Juilliard School of Dance ausgestattet, nach New York. Bei ihren Gastauftritten in der Metropolitan Opera tanzt sie zwar auf Spitzen, aber erprobt auch ihren eigenen Stil, indem sie den Tanz an das Sprechtheater annähert. Die Tänzer in Pinas Stücken schreien, lachen, erzählen absurde Geschichten, servieren dem Publikum Kekse oder Tee, rauchen, fragen die Zuschauer: Darf ich mit dir schlafen? Die Frauen tragen dazu das »Pina-Bausch-Kleid« (ein Unterkleid mit Spaghettiträgern in verschiedensten Farben), die Musik kommt vom Band und nicht aus dem Orchestergraben. Es gibt auch keine abendfüllende Geschichte, vielmehraussagestarke Szenen, die sich wie Puzzleteile zu einer Botschaft vermengen.
1973 übernimmt Pina Bausch die Leitung des Wuppertaler Balletts, das sie prompt in »Tanztheater Wuppertal Pina Bausch« umbenennt. Außerdem muss sich jedes Ensemblemitglied vertraglich verpflichten, seine Kindheitserinnerungen, seine heiligsten Gedanken für Pinas »Gefühlsdramaturgie« zur Verfügung zu stellen. Das Provinzpublikum ist mit diesem Psycho-Striptease meistens überfordert. Bei einigen Zuschauern schlägt das Unverständnis in Aggression um, etliche verlassen türknallend die Vorstellung. Pina wird bespuckt, als »Hure« beschimpft.
In den aufgewühlten Siebzigern war Provokation Programm. Aber nur zu reizen, »das war ja nie die Absicht. Ich habe einfach nur versucht, irgendwie ehrlich zu sagen, wie ich es dachte, ich konnte es nicht besser.« Und so wird der unvermeidliche wie gesunde Kampf der Geschmäcker
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