Starke Frauen
Menschen wie mit dem Schilf, das im Fluss wächst. Schwillt der Fluss an, so wird es hinuntergedrückt und neigt sich. Das Wasser fließt darüber, ohne es zu knicken. Hört die Überflutung auf, so richtet sich das Schilf wieder empor und wächst in seiner Lebenskraft lieblich und schön.«
War die Heilige eine starke Frau? Oder muss man sich unter einer starken Frau eher eine »Marianne« vorstellen, die, barbusig und barfuß,in der Rechten die französische Trikolore, in der Linken ein Gewehr, auf dem berühmten Gemälde von Eugène Delacroix das Volk, das sich gegen die Obrigkeit erhob, auf die Barrikaden führte?
Zwei Frauen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch bieten beide die Stirn der Gewalt, die sie biegen, und einer Welt, die sie brechen möchte. Die eine mit den Waffen der Männer, die andere wie Schilf, das sich biegen, aber eben doch nicht brechen lässt.
Wie es scheint, ist eine starke Frau gerne Frau (was vertrackter ist, als es klingt). Sie empfindet ihr Geschlecht weder als fatale Bürde noch als ungerechte Strafe, ist kein Mode- und Make-up-Muffel, genießt es, schön und sexy (und schlau) zu sein, wohl wissend, dass Schönheit das Leben einfacher machen kann, Frauen wie Männern. Daher hegte und pflegte Clara Zetkin, diese »Parteisoldatin« der Kommunisten, ihre Pelze und Perlen, und Hildegard von Bingen ermutigte ihre Nonnen, Schmuck und hübsche Schleier zu tragen.
Und sie verweigert sich auch nicht der »Doppelbelastung« beziehungsweise den berüchtigten »drei Ks«. »Und vielleicht noch ein kleines, ganz kleines Baby? Werde ich nie eins haben dürfen? Nie?«, bettelt die Revolutionärin Rosa Luxemburg ihren Geliebten an. Auch die Küche ist kein Ort der Schande. »Ich glaube, ich war stolzer auf meinen speziellen Ruhm als gute Köchin als auf die ›Filmlegende‹«, tut Marlene Dietrich kund.
Kinder? Mit Freuden. Küche? Mit Köpfchen. Und mit der Kirche, der dritten Macht, mit der die patriarchalische Gesellschaft die Frauen »knebelt«, kommen sie auch klar. Lou Andreas-Salomé erschafft sich schon als Kind ihren »ganz alleinigen Spezialgott« und weigert sich, zum Konfirmationsunterricht zu gehen.
Vielleicht übertreibe ich ein wenig, aber nur um den Gegensatz zwischen einer wesensstarken Frau und einer Feministin zu verdeutlichen, die alles Weibliche als »Rollendrill« verteufelt und folglich bemüht ist, ihre Gefühle (die »schwach« machen) zu unterdrücken. Eine starke Frau hingegen kann nur antreten, wenn sie begehrt, liebt. Nicht nur einen Mann, auch ihre »Sache«.
Und da Liebe per definitionem nicht beherrschen will, ist starkenFrauen jene Machtgier alias »Durchsetzungsvermögen« fremd, die man den karrieresüchtigen Männern nachsagt. Soll heißen: Starken Frauen geht es nicht primär um Macht (was etliche Feministinnen als Schwäche deuten), sondern um ihr Anliegen : »Ich habe versucht, immer nach dem Höchsten zu streben. Man muss sich selbst vergessen, wenn man die Welt ändern will«, gibt Petra Kelly zu Protokoll.
Wohlgemerkt, diese weibliche, »liebende« Stärke lässt sich nicht messen. Die männliche Stärke hingegen ist objektiv: Wer springt weiter, hat das dickere Konto? Wer aber möchte entscheiden, ob Elisabeth von Thüringen, die die Kranken mit größter Nächstenliebe pflegte, stärker war als die »grüne Jeanne d’Arc« Petra Kelly?
Und dann gibt es noch eine Eigenschaft, die mir an starken Frauen besonders imponiert: Sie solidarisieren sich mit anderen Frauen, vor allem in Zeiten der Not. Als Jenny Marx wieder einmal »guter Hoffnung« ist, verstößt sie ihr Hausmädchen Helene Demuth nicht, obwohl ihr Mann Karl »Lenchen« gleichzeitig schwängerte. Und Johanna Schopenhauer empfängt Christiane Vulpius in ihrem Salon, obwohl die Weimarer Gesellschaft Goethes »Proleten-Gattin« schneidet. Sie begegnen der anderen also mit Anstand und auf Augenhöhe, egal ob sie promoviert oder »nur« von Gottes Gnaden herrlich gewachsen, egal ob sie reiche Erbin oder Selfmade-Millionärin, ein hingebungsvolles »Muttertier« oder kinderloser Single, eine hörige Gattin oder lesbische Lebensgefährtin ist.
Ganz anders die Feministinnen. Esther Vilar wurde in den Siebzigern, der Hochzeit des Geschlechterkampfes in Deutschland, von vier fanatischen Feministinnen auf einer Damentoilette zusammengeschlagen. Emma -Chefin Alice Schwarzer, deren Verdienste um die Frauenbewegung unbestritten sind, attestiert der Spiegel , dass
Weitere Kostenlose Bücher